VDI 6008 Blatt 1 Barrierefreie Lebensräume - Allgemeine Anforderungen und Planungsgrundlagen [2012-12] - Anforderungen von Nutzergruppen

[Auszug]

Möglichst selbstständig zu leben und das Umfeld weitgehend ohne fremde Hilfe zu nutzen, ist auch im hohen Alter und bei Behinderung das Ziel vieler Menschen. Zudem wird es aus volkswirtschaftlichen und sozialen Gründen immer wichtiger, den Verbleib älterer und behinderter Menschen in Wohnungen ihres normalen Umfelds zu ermöglichen, die Nutzung ihrer Wohnungen zu erleichtern und Selbstständigkeit im Alter und bei Behinderung zu erhalten.

"Barrierefreiheit bedeutet, dass Liegenschaften und deren Technische Gebäudeausrüstung von Menschen in jedem Alter und mit jeder Mobilitätseinschränkung oder Behinderung betreten oder befahren und selbständig sowie weitgehend ohne fremde Hilfe benutzt werden können und damit individuelle Potenziale zum selbständigen Handeln nicht einschränken".

Die vorliegende Richtlinie formuliert Planungsgrundlagen Barrierefreie Lebensräume, Richtlinie VDI 6008 Blatt 1 und gibt allgemeine Hinweise zu den Nutzergruppen und deren spezifischen Anforderungen an die Barrierefreiheit, die bei der Anwendung der Folgeblätter zu berücksichtigen sind. Mit dieser Richtlinie werden die Anwender der Richtlinienreihe für die Belange der Nutzer sensibilisiert.

4. Anforderungen von Nutzergruppen

Die Vielseitigkeit der Anforderungen unterschiedlicher Menschen an ihr Umfeld erfordert bei der Umsetzung von Barrierefreiheit methodische Ansätze zur Umweltgestaltung, die möglichst viele dieser Anforderungen abdecken. Neben den Ansätzen des Universellen Designs oder des Design für Alle, bietet sich für die Erstellung von Barrierefreiheit im gebäudetechnischen Bereich vor allem eine auf Nutzergruppen bezogene Herangehensweise an. Diese ermöglicht ein differenzierteres, an überindividuellen, nutzergruppenspezifischen Kriterien ausgerichtetes Vorgehen, bei dem die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit für Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen Berücksichtigung findet. Hierfür ist es notwendig, eine Einteilung in Nutzergruppen mit vergleichbaren Anforderungen vorzunehmen.

Nutzergruppen im Sinne dieser Richtlinie sind:

  • Senioren, Senioren mit Einschränkungen, gefährdet (siehe Abschnitt 4.1)
  • Rollstuhlfahrer (siehe Abschnitt 4.2)
  • gehbehinderte, bewegungseingeschränkte Menschen (siehe Abschnitt 4.3)
  • Menschen mit Einschränkung der visuellen und auditiven Wahrnehmung (siehe Abschnitt 4.4)
    – blinde Menschen, sehbehinderte Menschen (siehe Abschnitt 4.4.1)
    – gehörlose Menschen, schwerhörige Menschen (siehe Abschnitt 4.4.2)
  • Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz (siehe Abschnitt 4.5)
  • andere Menschen mit besonderen Anforderungen (siehe Abschnitt 4.6)

4.1 Senioren; Senioren mit Einschränkungen, gefährdet

Das Älterwerden ist mit einer Abnahme der physischen und psychischen Fähigkeiten und dem Auftreten bestimmter Krankheiten verbunden. Zudem erhöht sich das Unfallrisiko.

4.1.1 Altersbedingte Veränderungen

Die im Folgenden beschriebenen altersspezifischen Beeinträchtigungen treten auch bei allen anderen Nutzergruppen auf, wenn diese älter werden. Beeinträchtigungen betreffen:

sensorische Fähigkeiten

  • visuell (Sehen)
  • auditiv (Hören)
  • olfaktorisch (Schmecken, Riechen)
  • haptisch, taktil (Fühlen, Tasten)
  • propriozeptiv (Körperpositionsgefühl)

motorische Fähigkeiten

  • Kraft
  • Geschicklichkeit
  • Beweglichkeit

kognitive Fähigkeiten

  • Aufmerksamkeit und Ablenkresistenz
  • Lernen und Gedächtnis
  • Mehrfachtätigkeit und Handlungsplanung

Weitere Inhaltspunkte:

Veränderungen der sensorischen Fähigkeiten | Sehschärfe | Akkomodation | Adaption | Linseneintrübung | Herabsetzung der Lichtempfindlichkeit des Auges | Gesichts- und Blickfeld | Farbtüchtigkeit | Tiefenwahrnehmung | Blendempfindlichkeit | Chromatische Aberration | Farbfokussierung des Auges | Circadianer Rhythmus | Allgemeine Empfehlungen bei Seheinschränkungen

4.1.1.2 Altersschwerhörigkeit

Bei älteren Menschen tritt häufig eine Altersschwerhörigkeit ein. Besonders im Bereich ab ca. 1000 Hz treten Empfindlichkeitsverluste auf. Die Hörschwelle liegt bei ca. 60 dB.

Weitere Inhaltspunkte:

Frequenzabhängige | Höreinschränkungen | Ortsauflösung | Hintergrundgeräusche | Allgemeine Empfehlungen bei Höreinschränkungen

Altersbedingte Änderung der motorischen Fähigkeiten | Kraft | Geschicklichkeit | Beweglichkeit | Allgemeine Empfehlungen bei Änderung der motorischen Fähigkeiten

Altersbedingte Änderung der kognitiven Fähigkeiten | Aufmerksamkeit und Ablenkresistenz | Lernen und Gedächtnis | Mehrfachtätigkeit und sensomotorische Koordination | Motorische Geschwindigkeit | Handlungskontrolle und Flexibilität | Allgemeine Empfehlungen bei Änderung der kognitiven Fähigkeiten

4.1.4 Alterskrankheiten

Mit zunehmendem Alter treten typische Alterskrankheiten und Mehrfacherkrankungen (Multimorbidität) auf, und es steigt das Risiko, durch Krankheit oder Unfall behindert zu werden. Häufige Alterserkrankungen sind z. B.:

  • Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit z. B. körperlicher Leistungsminderung
  • Schlaganfall
  • Demenz
  • Zuckerkrankheit mit Gefahr zunehmender Sehverschlechterung (bis hin zur Erblindung), Einschränkung des Tastvermögens, Gangunsicherheit
  • Gelenkverschleiß mit z. B. Bewegungseinschränkung, Schmerzen und Kraftverlust

Weitere Inhaltspunkte:

Herz-Kreislauf-System und Atmung | Knochen und Gelenke (Osteoporose, Arthritis, Arthrose) | Diabetes mellitus (Typ II) | Schlaganfall | Demenzielle Erkrankungen | Inkontinenz

4.1.6 Unfallrisiko

Das Risiko zu stürzen steigt bei älteren Menschen. Bei jedem fünften Sturz kommt es zu Frakturen, und die Hälfte der Stürze führt zu einer dauerhaften Einschränkung der Mobilität.

4.2 Rollstuhlfahrer

4.2.1 Statistische Daten zur Nutzergruppe

Genaue Zahlen zur Nutzergruppe Rollstuhlfahrer sind den vorhandenen statistischen Daten nicht eindeutig zu entnehmen. Allerdings betrug die Anzahl der Menschen mit Funktionseinschränkung, Verlust oder Teilverlust an den Gliedmaßen, bzw. mit Querschnittlähmung in 2007 etwa 1 000 000. Es ist anzunehmen, dass ein beträchtlicher Anteil dieser Menschen mit Behinderung den Nutzergruppen "Gehbehinderte" und "Rollstuhlfahrer" zuzuordnen sind [5].

Weitere Inhaltspunkte:

Beschreibung der Nutzergruppe und Untergliederungen | Einschränkungsgrade, Besonderheiten, typische Merkmale | Nutzergruppentypische Hilfsmittel

4.2.3 Besondere Anforderungen an die Umweltgestaltung; spezifische Barrieren bei bestimmten Aktivitäten

Als Anforderung an die Umweltgestaltung steht die Befähigung zur Mobilität im Vordergrund. Technische Hilfsmittel zur Fortbewegung (z. B. Rollstühle, Rollatoren) benötigen besonderen Platz; dies gilt in besonderem Maß für elektrisch angetriebene Rollstühle mit überwiegender Eignung für den Außenbereich und ihre Abstell- und elektrischen Ladebereiche.(...)

4.3 Gehbehinderte/bewegungseingeschränkte Menschen

4.3.1 Statistische Daten zur Nutzergruppe

Genaue Zahlen zur Nutzergruppe "Gehbehinderte/bewegungseingeschränkte Menschen" sind den vorhandenen statistischen Daten nicht eindeutig zu entnehmen. Gleichermaßen gelten die unter Abschnitt 4.2 getroffenen Annahmen auch für diese Nutzergruppe. Es ist darüber hinaus von einer größeren Anzahl dieser Nutzergruppe zugehöriger Menschen ohne anerkannte Schwerbehinderung auszugehen. Besonders ältere Menschen mit geringem oder mäßigem Pflegebedarf dürften im engeren Sinne als gehbehindert gelten, stellen aber nicht unbedingt einen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung.

Weitere Inhaltspunkte:

Beschreibung der Nutzergruppe und Untergliederungen | Einschränkungsgrade, Besonderheiten, typische Merkmale | Nutzergruppentypische Hilfsmittel | Besondere Anforderungen an die Umweltgestaltung; spezifische Barrieren bei bestimmten Aktivitäten

4.4 Menschen mit Einschränkung der visuellen und auditiven Wahrnehmung

An Menschen mit Einschränkungen der Wahrnehmung oder Wahrnehmungsverarbeitung (sensorische Behinderungen) ergeben sich besondere Anforderungen an die Art und Weise der Informationsübermittlung. Dabei gelten folgende Grundsätze:

  • Wer schlecht hören oder sehen kann, braucht Hilfe und Unterstützung seines Seh- oder Hörrests.
  • Wer nicht hören kann, muss sehen oder fühlen.
  • Wer nicht sehen kann, muss hören oder tasten.

Je nachdem, wie wichtig ein Signal oder eine Information ist, welche Priorität sie hat, muss das Zwei-Sinne-Prinzip angewendet werden: (...)

Weitere Inhaltspunkte:

Blinde Menschen/sehbehinderte Menschen | Statistische Daten zur Nutzergruppe | Beschreibung der Nutzergruppe und Untergliederungen | Einschränkungsgrade, Besonderheiten, typische Merkmale | Nutzergruppentypische Hilfsmittel | Besondere Anforderungen an die Umweltgestaltung; spezifische Barrieren bei bestimmten Aktivitäten | Gehörlose Menschen/schwerhörige Menschen | Statistische Daten zur Nutzergruppe

4.5 Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder Demenz

4.5.1 Statistische Daten zur Nutzergruppe

An einer Demenz leiden in Deutschland etwa 1,2 Millionen Menschen - mit steigender Tendenz. Der Grund: Das Erkrankungsrisiko steigt mit dem Lebensalter. So leidet im Alter zwischen 65 und 69 Jahren jeder Zwanzigste an einer Demenz, aber zwischen 80 und 90 ist schon fast jeder Dritte betroffen. Aufgrund des demografischen Wandels wird eine Zunahme an Demenzkranken erwartet. Im Jahr 2030 werden 2,5 Millionen Menschen betroffen sein. (...)

Weitere Inhaltspunkte:

Beschreibung der Nutzergruppe und Untergliederungen | Einschränkungsgrade, Besonderheiten, typische Merkmale | Nutzergruppentypische Hilfsmittel | Besondere Anforderungen an die Umweltgestaltung; spezifische Barrieren bei bestimmten Aktivitäten

4.6 Andere Menschen mit besonderen Anforderungen

Zusätzlich zu den bisher aufgeführten Nutzergruppen gibt es eine Vielzahl von Menschen mit besonderen Erfordernissen. Diese können nicht alle in dieser Richtlinie aufgeführt werden. Auf Basis der bisher betrachteten Nutzergruppen kann dennoch ein geeignetes Anforderungsprofil erstellt werden. Als Beispiel können die Anforderungen an die Erreichbarkeit von Bedienelementen sowohl für Rollstuhlfahrer als auch für Kleinwüchsige oder Kinder herangezogen werden.

Weitere Nutzergruppen sind z. B.:
  • Kleinwüchsige
  • Großwüchsige
  • Adipöse (stark übergewichtig)
  • Kinder
  • Eltern mit Kindern
  • Mehrfachbehinderte
  • Menschen mit motorischen Einschränkungen der oberen Extremitäten, z. B. Einhänder/Ohnhänder; Bewegungsstörungen/Koordinationsstörungen; Kraftverlust

Weitere Inhaltspunkte:

Allgemeine Empfehlungen | Beschriftungen | Anleitungen | Betriebs-, Wartungs- und Bedienungsanleitungen | Leuchtdichtekontrast von Hinweisschildern | Bedienelemente | Bedienbarkeit | Kraft zur Betätigung von Bedienelementen | Kennzeichnung und Beschriftung von Bedienelementen | Montagehöhe von Bedienelementen | Anzeigen | Schriften von Anzeigen | Montagehöhe von Anzeigeelement | Leuchtdichtekontraste | Farbkombinationen | Akustische Signale

VDI 6008 Blatt 1 Inhalt

Autorinfo

VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V.

40468 Düsseldorf

Verein Deutscher Ingenieure e.V., Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik, Fachbereich Architektur
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Zusatzinfo

Die Richtlinie VDI 6008 gibt Hinweise zur Ausstattung von Wohnungen für Senioren oder Menschen mit Einschränkungen hinsichtlich Beleuchtungstechnik, Elektroinstallation, Kommunikations- und Sicherheitstechnik und Fördertechnik.

Sie ergänzt die bereits für die Sanitärtechnik vorliegenden Normen und Richtlinien um Hinweise, die sich aus dem Einsatz neuer Technologien für die gesamte Wohnumgebung ergeben.

Richtlinienreihe 6008

Ergänzend zur DIN 18040 werden in der neu gegliederten Richtlinienreihe VDI 6008 detaillierte Anforderungen an Barrierefreiheit einzelner gebäudetechnischer Anlagen gestellt. Die Ergänzungen zur Norm behandeln auch weitergehende nutzerspezifische Bedürfnisse von Menschen in jedem Alter ohne und mit Mobilitätseinschränkung oder Behinderung.

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