Barrierefreier Arztbesuch - noch keine Selbstverständlichkeit in Deutschland
Menschen mit Behinderungen, aber auch ältere oder chronisch kranke Patienten stoßen beim Arztbesuch häufig auf bauliche oder kommunikative Barrieren. Das schränkt die freie Wahl des Arztes und eine optimale medizinische Versorgung deutlich ein.
Bereits der Weg in die Praxisräume wird für viele Betroffene oft zur Tortur: Fehlende Behindertenparkplätze, nicht vorhandene oder zu steile Rampen, Treppenaufgänge in höher liegende Etagen ohne Aufzug oder zu kleine Manövrierflächen für Rollstuhlfahrer vor und hinter den nicht selten auch viel zu schmalen Türen. Blinde und Sehbehinderte sind auf eine gute Außen- und Innenbeleuchtung sowie kontrastreiche, in gut lesbarer Schrift gestaltete Schilder angewiesen. Sie können beispielsweise auch große Glastüren nicht ohne entsprechende Markierung als solche erkennen oder stolpern am Anfang und Ende eines Treppenaufgangs über nicht gekennzeichnete Stufen. Gehörlose scheitern manchmal bereits an der Terminvereinbarung, weil diese nur übers Telefon, nicht aber per SMS oder E-Mail vorgenommen wird.
Auch innerhalb der Arztpraxen bestehen bis heute zahlreiche Barrieren: Der Tresenbereich in der Anmeldung ist für Patienten, die im Rollstuhl sitzen, zu hoch und für hörbehinderte Menschen, die von den Lippen der Arzthelferin ablesen möchten, unzureichend ausgeleuchtet. Meistens sind die Toilettenräume und Umkleidekabinen viel zu klein. Es gibt keine Halte- und Stützgriffe zum Umsetzen, die Türen lassen sich nur nach innen öffnen. Außerdem fehlt häufig behindertengerechtes Mobiliar wie höhenverstellbare Untersuchungsliegen, Röntgenapparate oder gynäkologische Stühle. Dadurch werden sowohl die medizinische Diagnostik als auch eine adäquate Behandlung erschwert.
Umsetzung einer barrierefreien Gesundheitsversorgung
Stand 30.10.2025: Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage zur Gestaltung barrierefreier und inklusiver Gesundheitsversorgung
Drucksache 21/2481
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) weisen unter den aktuell aktiven Praxen und ambulanten Einrichtungen (Stichtag 30. Juni 2025) im ärztlichen Bereich insgesamt 35 889 von 99 756 Praxen mindestens ein Merkmal von Barrierefreiheit auf. Das entspricht 36 Prozent. Im Bereich der psychologisch-psychotherapeutischen Praxen sind es 8 112 von 32 437 Praxen, dies entspricht 25 Prozent.
Damit sich Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen über die Barrierfreiheit einer Arztpraxis informieren können, wurden von der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) 76 Kriterien erarbeitet. Am 15.04.2024 hat die KBV eine Richtlinie verabschiedet, die die bundesweit einheitlichen Bereitstellung von Informationen zur Barrierefreiheit auf den Internetseiten der Kassenärztlichen Vereinigungen sicherstellen soll.
Definition der Barrierefreiheit für mobilitätseingeschränkte Personen laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV)
Praxisräume für Rollstuhlfahrende zugänglich*
| Zugang: | ebenerdig, Schwellenhöhe max. 3 cm bzw. |
| Rampen: | max.6 % Steigung und/oder |
| Aufzug: | rollstuhlgerecht (Türbreite mind. 90 cm, Tiefe mind. 140 cm; Fahrstuhlkabine mindestens 110 cm x 140 cm) |
| Türbreite: | Eingangs- und Innenraumtüren mindestens 90 cm |
| Bewegungs-flächen: | (zusammenhängende unverstellbare Bodenfläche) in den Räumen mindestens 150 x 150 cm |
Hinweis:
- Schwellen: Sind sie technisch unabdingbar, dürfen sie nicht höher als 2 cm sein.
Praxisräume für Personen mit Gehhilfe zugänglich*
| Zugang: | Weitgehend ebenerdig, max. eine Stufe bzw. |
| Rampen: | mit max. 20 % Steigung und/oder |
| Aufzug: | Türbreite mind. 70 cm, Fahrstuhlkabine mind. 70 cm x 90 cm |
| Türbreite: | der Eingangs- und Innenraumtüren mindestens 80 cm |
| Bewegungs-flächen: | (zusammenhängende unverstellbare Bodenfläche) in den Räumen mindestens 110 x 110 cm |
Hinweis:
Baurecht: Bei Änderung der Nutzung eines Gebäudes kann es seinen Bestandsschutz verlieren. Beispiel: Umnutzung Wohnraum als Arztpraxis. Hier ist erneut eine Baugenehmigung erforderlich. Anforderungen sind dann wie im Neubau nach LBO umzusetzen.
DIN 18040-1:
- Rampen: müssen leicht zu nutzen und verkehrssicher sein. Die Neigung von Rampenläufen darf maximal 6 % betragen; eine Querneigung ist unzulässig. Die Entwässerung der Podeste von im Freien liegenden Rampen ist sicherzustellen.
Kippgefahr für Rollstuhlfahrer bei mehr als 8% Rampenneigung - Aufzug: Aufzüge müssen mindestens dem Typ 2 nach DIN EN 81-70, entsprechen. Die lichte Zugangsbreite muss mindestens 90 cm betragen. Der Flächenbedarf eines Rollstuhls beträgt 70 x 120 cm.
Bei dem angegebenen Aufzug (Türbreite mind. 70 cm, Fahrstuhlkabine mind. 70 cm x 90 cm) handelt es sich um einen Lift nach Maschinenrichtlinie. Dieser besitzt keinen keinen geschlossenen Förderkorb und wird i.R. mit einer Totmannsteuerung bedient. Sollen damit auch Elektrorollstühle befördert werden, ist auf die Tragfähigkeit zu achten. - Türen: Durchgang lichte Breite ≥ 90 cm
Wehe dem der im Rollstuhl sitzt ...
Praxisräume für Personen mit Gehhilfe weitgehend zugänglich*
| Zugang: | mit max. drei aufeinander folgenden Stufen (Höhe der Stufen je max. 15 cm) |
| Handläufe/ Geländer: | vorhanden |
| Sitzge-legenheiten: | in Anmelde- und Wartezonen |
Hinweis:
- Treppen DIN 18065: 2s+a=Schrittmaß (590mm bis 650mm)
Die bequemsten Maße für Treppen liegen bei Stufenhöhen von 12 bis 15 cm und Stufenauftritten von 34 bis 40 cm Tiefe.
*Alle genannten Merkmale müssen zutreffen
Fazit
Im Neubau regelt Barrierefreiheit die jeweilige Landesbauordnung mit den dazugehörenden Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen (VV TB). Die VV TB regelt welche Teile der Norm DIN 18040-1 "Barrierefreies Bauen – Planungsgrundlagen – Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude" verbindlich anzuwenden sind.
Im Bestand gilt § 4 Barrierefreiheit BGG von 2002.











