Barrierefreier Brandschutz - Fachbuch
Das Fachbuch Barrierefreier Brandschutz thematisiert eine Schritt-für-Schritt-Methodik zum barrierefreien Brandschutz. Wie plane ich, finde Ansätze für das Konzept und leite daraus die konkreten Brandschutzmaßnahmen ab.
Barrierefreier Brandschutz: Methodik - Konzepte - Maßnahmen
Von Johannes Göbell und Steffen Kallinowski
Menschen mit Behinderungen, pflegebedürftige und alte Menschen sind aufgrund ihrer körperlichen und ggf. geistigen Einschränkungen im Brandfall einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Die Neuerscheinung "Barrierefreier Brandschutz" unterstützt beim Erstellen von barrierefreien Brandschutzkonzepten. Das Buch zeigt geeignete Evakuierungsmaßnahmen auf und liefert Vorschläge für individuell abgestimmte und wirtschaftlich optimierte Brandschutz-Maßnahmen.
Die Autoren thematisieren drei wesentliche Themengruppen: Methodik (Wie plane ich sicher?), Konzepte (Wie finde ich richtige Ansätze für mein Konzept?) und Maßnahmen (Wie leite ich daraus korrekte Brandschutzmaßnahmen ab?). Dabei konzentriert sich der Leitfaden auf vorbeugende bauliche Maßnahmen, fasst die aktuellen Regelwerke zusammen und erläutert die detaillierte Bewertung der Brandgefahr.
Das Werk hilft, die entscheidenden Fragen zu stellen, spezifische Anforderungen zu definieren und die richtigen Werkzeuge bei der Planung einzusetzen. Auch helfen die aufgeführten Begründungen zur Wahl bestimmter Brandschutzmaßnahmen bei der Formulierung von Abweichungen im eigenen Brandschutzkonzept.
"Barrierefreier Brandschutz" richtet sich an Architekten und Ingenieure, Brandschutzfachplaner, Betreiber von Behinderteneinrichtungen, Bauherren sowie an Fachkräfte in Therapie und Pflege.
Leseprobe
Schritt 2: Wahl eines Evakuierungskonzeptes
11 Evakuierungs-Grundkonzepte
11.1 Das geeignete Evakuierungs-Grundkonzept
Im Rahmen der BrandschutzkonzeptErstellung steht im zweiten Schritt die Wahl eines geeigneten Grundkonzepts zur Evakuierung an. Ein Evakuierungskonzept im Sinne der hier vorgestellten Systematik stellt die grundlegende Entscheidung für ein Räumungs- und Evakuierungsszenario dar. Die Grundschemata der Evakuierungskonzepte für Sonderbauten sind abhängig von individuellen Faktoren dieser Objekte. Besonders die Nutzerstruktur ist hierbei ein entscheidender Einflussfaktor.
Neben der Einstufung der Nutzer ist es aus brandschutztechnischer Sicht wichtig zu wissen, wie die behinderten Nutzer im Brandfall aus der Gefahrenzone befördert werden können und wie sich der zu erwartende Verlauf der Evakuierung darstellen wird. Um dies für die Wahl eines Evakuierungskonzeptes berücksichtigen zu können, wurde eine Methode zur Beurteilung des zu erwartenden Evakuierungsverlaufs entwickelt. Charakteristische Kennzahlen können hierbei als Entscheidungskriterien für die Wahl geeigneter Brandschutzmaßnahmen dienen.
Die im Folgenden vorgestellten Evakuierungskonzepte (Abb. 11.1) unterscheiden sich grundsätzlich durch die Anzahl der bei einer Evakuierung notwendigen Stufen. Das Räumungskonzept der MBO sieht eine einstufige Räumung des Gebäudes vor. Dabei verlässt der Nutzer das Gebäude ohne Zwischenstopp von seinem Aufenthaltsort über den notwendigen Flur und durch den notwendigen Treppenraum ins sichere Freie. Dieses Evakuierungskonzept soll im Folgenden als Räumungskonzept bezeichnet werden.
Sobald der Nutzer nicht mehr in der Lage ist, selbstständig einen notwendigen Treppenraum zu nutzen, kann eine weitere Stufe im Rahmen der Evakuierung eingeplant werden. Dabei begibt sich der Nutzer zunächst (erste Stufe) vom betroffenen Abschnitt in einen brandschutztechnisch getrennten zweiten Abschnitt, aus dem er dann zusammen mit Fremdhelfern durch den notwendigen Treppenraum ins sichere Freie gebracht werden kann (zweite Stufe). Als Bezeichnung für dieses Evakuierungskonzept hat sich der Begriff Verschiebekonzept eingebürgert.
Sofern aber der Nutzer auch nicht in der Lage ist, sich selbstständig in einen sicheren Bereich zu bewegen, kann eine dritte Stufe in das Evakuierungsszenario eingeplant werden. Dabei wird im ersten Schritt die in Brand geratene Zelle geräumt. Die brandschutztechnisch abgetrennte Zelle gewährleistet einen Zeitraum zur Räumung eines wiederum brandschutztechnisch gegen über anderen Abschnitten getrennten Bereiches, was die zweite Stufe dieses dreistufigen Räumungskonzeptes darstellt. Die Bewältigung des vertikalen Fluchtweges über den notwendigen Treppenraum oder ggf. über einen Evakuierungsaufzug, der sich in einem sicheren Abschnitt befindet, stellt dann die dritte Stufe dieses Grundkonzepts der Evakuierung dar. Das dreistufige Räumungskonzept wird im Folgenden als Zellenkonzept bezeichnet.
Legende: 1 = 1. Evakuierungsstufe; 2 = 2. Evakuierungsstufe; 3 = 3. Evakuierungsstufe
Abb. 11.1: Schematische Darstellung des Evakuierungskonzeptes
12 Kurzbeschreibung der Evakuierungskonzepte
Im Folgenden werden die genannten Evakuierungskonzepte mit ihren Anwendungsbereichen und Besonderheiten kurz schematisch beschrieben. Dies verschafft dem Anwender ein besseres Bild über mögliche Auswirkungen der Grundkonzepte. Die richtige Entscheidung ist für die spätere Nutzung der Einrichtung von wesentlicher Bedeutung, denn an der Auswahl des Evakuierungs-Grundkonzepts hängen eine Reihe entscheidender baulicher und technischer Maßnahmen. Deren wirtschaftliche Folgen sollten vor der weiteren Bearbeitung des Brandschutzkonzepts mit dem Planer und dem Betreiber der Einrichtung detailliert beleuchtet werden.
Hinweis
Die Auswahl des Evakuierungskonzepts und die daraus entstehenden Folgen für Nutzung und Baukosten müssen im Vorfeld mit dem Planer und dem Betreiber besprochen werden.
12.1 Konzept A: Räumungskonzept
Die MBO sieht für den Brandfall die Evakuierung des gesamten Gebäudes vor, was als Räumungskonzept bezeichnet werden soll. Für die Evakuierung werden Rettungswege genutzt, die aus horizontalen und vertikalen Anteilen bestehen. Das Standardkonzept der MBO greift jedoch bei Einrichtungen mit nicht zur Selbstrettung fähigen Personen nicht, da die vertikalen Elemente, wie notwendige Treppenräume, meist nicht genutzt werden können. Dennoch kann auch das Standardkonzept in bestimmten Behinderteneinrichtungen als Grundkonzept herangezogen werden, wenn die individuelle Einstufung der Nutzer ergeben hat, dass die vertikalen Rettungswege für die Behinderten nutzbar sind.
Das Räumungskonzept findet Anwendung bei Objekten der Nutzungsklassen 1 und 2, wobei die Einschränkung besteht, dass jeweils maximal 5 % als gehbehindert eingestufte Nutzer vorhanden sein dürfen. Aufgrund verschiedener Gründe, die sich aus der Brandgefahrenanalyse ergeben, bezieht sich der 5 %-Anteil der Nutzungsklasse 1 auf die Summe der Einstufungen H1 bis H6 und bei Nutzungsklasse 2 auf die Summe der Einstufungen H4 bis H6. Der mögliche Gesamtanteil der als behindert eingestuften Personen zur Anwendung des Räumungskonzeptes ist damit also bei Nutzungsklasse 2 höher.
Beschreibung
Wie in der MBO vorgesehen, wird im Brandfall das gesamte Gebäude evakuiert. Sind gehbehinderte Nutzer vorhanden, werden erhöhte Maßnahmen im Brandschutz gegenüber dem MBOStandard gefordert, um trotz der Einschränkungen der Nutzer die Schutzziele zu erreichen.
Die Bildung notwendiger Flure ist erforderlich, soweit dies nach MBO gefordert wird. Eine qualitative Verbesserung der Rettungswege gegenüber MBO ist nicht notwendig. Selbst wenn ein Anteil von bis zu 5 % von Personen mit Gehbehinderung die Einrichtung nutzt, entspricht dies dem Anteil an Gehbehinderten in der Bevölkerung. Es entspricht also dem in der MBO dargestellten Normalfall. Positiv ist dabei zu werten, dass aufgrund der Vorgaben in der Brandschutzordnung die Nutzer dieser Einrichtungen in punkto organisatorische Maßnahmen im Brandfall geschult sind und sich bei der Rettung um die gehbehinderten Nutzer kümmern können.
Beim Räumungskonzept ist ein Anteil an Gehbehinderten und Rollstuhlfahrern zugelassen. Für diese Personengruppen müssen aber besondere Vorkehrungen zur vertikalen Evakuierung getroffen werden. Hier bietet sich die Einrichtung von Warteräumen an, wie sie in der BeRettVO und auch in der Wiener "Richtlinie Brandschutz Schulen" beschrieben sind. Diese an den Treppenraum angeschlossenen Warteräume dienen dem sicheren Aufenthalt bis zur Fremdrettung (Abb. 12.1).
Der zweite Rettungsweg ist bei Sonderbauten aufgrund der hohen Zahl zu rettender Personen baulich auszuführen. Der Kommentar zur MBO macht deutlich, dass bei Sonderbauten, die mit einer großen Zahl von Personen belegt werden, ein zweiter baulicher Rettungsweg vorzusehen ist ...
17.5 Rettungswege
17.5.1 Grundsätzliche Festlegungen
... Breite von Rettungswegen
Rettungswege sind laut MBO so breit anzulegen, dass sie für den größten zu erwartenden Verkehr ausreichen. Die sich aus diesem Schutzziel ergebende Breite der Rettungswege ist in Einrichtungen für behinderte Menschen mit unterschiedlichen Behinderungsstufen an die Nutzerzusammensetzung anzupassen.
Die Nutzerzusammensetzung und hier die Anzahl an H4 bis H6 eingestuften Nutzern bestimmt maßgeblich die erforderliche Breite der Rettungswege. Gehbehinderte Nutzer benötigen eine breitere Gehfläche und können den Personenfluss behindern. Je nach Evakuierungskonzept erfüllen Teile der Rettungswege auch andere Aufgaben, wie Wartebereiche für Nutzer aus gefährdeten Bereichen oder Wohnflächen in Gemeinschaftsbereichen. Die Breite der Rettungswege muss dann so vergrößert werden, dass es bei einer Räumung eines Bereiches nicht zu Stauungen in den Rettungswegen kommen kann, auch wenn die Bereiche als Rettungsfläche für Nutzer aus gefährdeten Bereichen genutzt werden.
In Anbetracht der existierenden Vorgaben aus der DIN 18040 zur barrierefreien Planung von Gebäuden müssen keine ergänzenden Bestimmungen festgelegt werden. Die schutzzielbezogene Definition der Rettungswegbreiten, wie sie in Hamburg niedergelegt wurde, erscheint sinnvoll:
"Die erforderliche lichte Breite der Rettungswege darf nicht eingeengt werden. Zur Vermeidung von Stauungen dürfen Ausgänge zu notwendigen Fluren nicht breiter sein als der notwendige Flur. Ausgänge zu notwendigen Treppenräumen dürfen nicht breiter sein als die notwendige Treppe. Ausgänge aus notwendigen Treppenräumen müssen mindestens so breit sein wie die notwendige Treppe." (Hamburg, Anforderungen an den Bau und Betrieb von Schulen, 6/2011, Pkt. 7.4)
Im Zweifelsfall sollte eine kapazitive Berechnung im Rahmen eines Evakuierungsnachweises (siehe Schritt 4) durchgeführt werden.
Anforderungen an notwendige Treppen
Ergänzend zu den Anforderungen der MBO sind einige zusätzliche Anforderungen an die Ausführung der notwendigen Treppen zu stellen. Diese resultieren aus den besonderen Bedingungen im Zuge der vertikalen Evakuierung gehbehinderter Menschen. Im Gegensatz zur Flucht mit ausschließlich uneingeschränkt beweglichen Personen ist damit zu rechnen, dass die Entstehung eines dynamisch fließenden Personenstroms durch die mobilitätseingeschränkten Personen beeinträchtigt wird.
Bezüglich der Breite der Treppen sollte es immer möglich sein, dass eine langsame Person, im schlechtesten Fall auch ein Rollstuhlfahrer mit einem Helfer, und eine normal bewegliche Person nebeneinander die Treppe nutzen können. Dabei ist für den Rollstuhl eine Breite von 0,90 m und für die mobile Person eine Breite von 0,60 m anzusetzen. Damit ergibt sich für die nutzbare Breite über die gesamte Treppe eine Vorgabe von 1,50 m. Ab mehr als 5 % der Nutzer mit H4- bis H6-Einstufung sollte die notwendige Treppe mit dieser Breite ausgeführt werden. Die Breite ist zwischen den Handläufen zu messen.
Durchgängige Handläufe auf beiden Seiten der Treppe ermöglichen allen Personen deren sichere Nutzung. Ebenso werden Setzstufen für die Treppen verbindlich gefordert.
Zur Umsetzung schneller Löschmaßnahmen ist es notwendig, dass der Löschschlauch schnell an den Einsatzort gebracht werden kann. Das Vorhandensein eines Treppenauges von mindestens 15 cm Breite kann dies erheblich vereinfachen. Aus diesem Grund wird ein Treppenauge mit mindestens 15 cm Breite gefordert. Die Podestbreite sollte mindestens 1,50 m betragen.
Türen in Rettungswegen
Brandschutztüren in Rettungswegen stellen in Einrichtungen mit behinderten Nutzern eine starke Beeinträchtigung im Sicherheitskonzept dar, wenn diese Türen auch ohne direkte Gefahr selbst schließen. Durch die teilweise hohen Kräfte, die zur Öffnung solcher Türen notwendig sind, werden gehbehinderte Menschen massiv in der Selbstrettung beeinträchtigt. Bei Rollstuhlfahrern besteht sogar die Gefahr einer gravierenden Behinderung der Flucht. Die BeRettVO gibt wie folgt vor:
"Türen im Zuge von Rettungswegen müssen von innen durch einen einzigen Griff auch von Behinderten im Rollstuhl in voller Breite zu öffnen sein." (Verordnung über Rettungswege für Behinderte (BehindertenrettungswegeVerordnung – BeRettVO), 15. November1996, §3 (8)
Diese schutzzielorientierte Vorgabe erscheint sinnvoll, die praktische Umsetzbarkeit aber fraglich und sollte daher nicht so gefordert werden.
Eher bietet sich an, Öffnungen in Rettungswegen mit Selbstschließanlagen so zu planen, dass die Türen erst schließen, wenn eine Gefährdung durch Rauch oder Feuer vor der betreffenden Tür detektiert wird. Die Auslösung der Selbstschließung von Brandund Rauchschutztüren im Verlauf von Rettungswegen durch die Brandmeldeanlage ist also zu vermeiden.
Außentreppen
Die meisten Regelungen für Wohnformen aus dem Bereich Pflege lassen Außentreppen als Rettungswege zu:
"Außentreppen sind als zweiter baulicher Rettungsweg zulässig, sofern sie im Brandfall sicher benutzbar sind; diese Forderung ist regelmäßig bei einer im Bereich der Treppe geschlossenen Außenwand erfüllt." (Hinweise des Wirtschaftsministeriums BadenWürttemberg über den baulichen Brandschutz in Krankenhäusern und baulichen Anlagen entsprechender Zweckbestimmung, 26.4.2007, Pkt. 3.1.1)
Neben Außentreppen werden in den Regelungen zum Teil auch Dachterrassen und offene Gänge als Rettungswege zugelassen. In Einrichtungen mit behinderten Nutzern stellen diese Optionen jedoch keine praktikablen Alter nativen zu "echten" baulichen Rettungswegen dar. Kognitiv eingeschränkte Kinder werden große Probleme in der Nutzung solcher meist als offene Konstruktion ausgeführten Außentreppen haben. Zudem sollte möglichst sichergestellt werden, dass die Rettungswege auch den im Alltag genutzten Wegen entsprechen. Um Dachterrassen auch für in Panik geratene Kinder sicher zu gestalten, sind hohe Anforderungen an die Sicherheitstechnik notwendig. Zudem stellt sich die Frage, wie die behinderten Nutzer dann vom Dach gerettet werden sollen.
Außentreppen und Dachterrassen können bis zu einer Einstufung H3 als zweiter Rettungsweg anerkannt werden. Ab der H4-Einstufung von Nutzern sind beide baulichen Rettungswege über notwendige Treppen darzustellen.
Kennzeichnung der Rettungswege
Die übliche Kennzeichnung der Rettungswege kann bei Einrichtungen mit sensitiv und kognitiv beeinträchtigten Menschen unter Umständen nicht ausreichen. Es wird gefordert, die Kennzeichnung der Rettungswege auf die Nutzer abzustimmen. Es gilt das Zwei-Sinne-Prinzip, nach dem alle Warnhinweise über 2 Sinne wahrgenommen werden können. Als Beispiel seien fühlbare Richtungspfeile, die in den Handläufen notwendiger Flure integriert sind, genannt ...
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