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Gestaltungskonzept "Gemeinsam genutzter Raum" in der Europäischen Norm DIN EN 17210:2021

Verkehrshinweisschild Shared SpaceHinweisschild für Begegnungszone Maaßenstraße mit Geschwindigkeitsbegrenzung auf 20 kmhShare Space Beschilderung

Die europäische Funktionsnorm DIN EN 17210:2021 "Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umgebung" beschreibt u.a. in Form von Empfehlungen die funktionalen Anforderungen an städtische Verkehrs- und Freiräume, die dem Gestaltungskonzept "gemeinsam genutzter Raum" folgen. In diesen Räumen nutzen Fußgänger und Fahrzeuge die gleichen Flächen ohne die sonst übliche physische Abgrenzung zwischen Straße und Fußweg.

Danach müssen durchgängig barrierefreie Routen, Streckenführungen für alle Fußgänger vorgesehen und Folgen für Menschen mit Sehbehinderung betrachtet werden, die ggf. durch das Entfernen von Bordkanten entstehen. Eine Erstbewertung muss Verkehrsdichte und Unfallrisiken analysieren. Oberste Priorität hat die Sicherheit von Fußgängern und nichtmotorisierten Fortbewegungsarten.

Bauliche Gestaltung:

  • klar getrennte erkennbare Zugangspunkte von der herkömmlichen Straße
  • niedrige Verkehrs­geschwindigkeit und Vorrang für den Fußverkehr
  • Reduzierung des Verkehrsaufkommens
  • Haltestellen des ÖPNV und/oder Parkplätze barrierefrei zugänglich

Komfortzonen:

Für Fußgänger einschließlich Menschen mit Sehbehinderung ist die gemeinsame Nutzung kein Zwang; es muss eine sogenannte Komfortzone als reine durchgehend barrierefreie Route geben.
Der Fahrzeugverkehr wird durch deutliche Abgrenzung (taktil, visuell, Kontrast) ausgeschlossen. Die Breite ist durchgängig der Nutzungsdichte anzupassen und darf durch Bänke und Einbauten nicht eingeschränkt werden. Bordkanten sollten vermieden, Straßenmöbel als Orientierungspunkte dienen können. Wenn nötig, sollten taktile Bodenindikatoren zur Orientierung vorgesehen werden.

Straßenbelag:

Der Belag muss rutschfest, bei jeder Witterung für Fußgänger geeignet und den motorisierten Verkehr tragfähig sein, sollte aber generell die Nutzung durch Fußgänger signalisieren.

Shared Space

Menschenfreundliche Städte

Mehr als die Hälfte aller Menschen weltweit wohnen heute in Städten – mit steigender Tendenz. Im 21. Jahrhundert sollen Städte der Idee nach ökologisch nachhaltig und so gestaltet sein, dass BewohnerInnen Begegnung möglich ist. Die menschliche Stadt, wie sie sich beispielsweise der dänische Architekt Jan Gehl (2010) vorstellt, ist aber noch nicht der Standard. FußgängerInnen nehmen gern Abkürzungen und überqueren Straßen und Plätze diagonal. Nach Fertigstellung einer neuen Grünanlage entstehen schnell Trampelpfade quer über den Rasen. Anstatt Verbotsschilder und Zäune aufzustellen, kann man eine diesem natürlichen Verhalten der Spezies Mensch angepasste Raumplanung entlang sogenannter Desire Lines betreiben. Bei der Verkehrsplanung erhält jedoch der motorisierte Individualverkehr noch oft Vorrang vor anderen Verkehrsarten. Ein Schritt auf dem Weg zur Stadtraumgestaltung nach menschlichem Maß könnte aber ein Verkehrskonzept namens Shared Space sein.

Bank für Kleine und GroßeStele mit haptischem Plan für AußengeländeStraßeneinläufe aus Guss in Pultform und RinnenformAsphalt-Radweg mit weißer Plattenbegrenzung im Bushaltestellenbereich City-WC mit HolzverkleidungRippenplatten auf GehwegBodenleitsystemAufgetaute befahrbare Zufahrt im Winter

Besonderheiten des Shared Space

Shared Spaces sollen das Fortbewegen im Verkehrsraum zwischen den Häusern der Stadt ermöglichen und gleichzeitig Zonen für Langsamkeit und entspanntes Verweilen, Spiel und Begegnung mitten in dicht besiedelten und heftig genutzten Stadträumen schaffen. Doch der Name deutet es bereits an: der betreffende Raum soll von allen Teilnehmenden am Straßenleben geteilt werden. FußgängerInnen und nichtmotorisierte Fortbewegungsarten haben insofern Vorrang, als sie die gesamte Breite nutzen können und man sich nach ihnen richtet. Die Flächen für motorisierten Verkehr sind hingegen begrenzt. Shared Spaces sollen zudem überwiegend barrierefrei sein.

Barrierefreiheit im öffentlichen Raum heißt dabei unter anderem, dass sich Platzbedarf und Gestaltung an den Bedürfnissen von Menschen mit fahrbaren Mobilitätseinrichtungen (Rollstuhl, Rollator, Kinderwagen), Menschen mit Schwierigkeiten beim Gehen, mit Sehbehinderung, ältere Menschen und Menschen mit begleithund orientiert.

Zugleich sollen Shared Spaces die Sicherheit durch Reduzierung von Geschwindigkeit und Unfallhäufigkeit erhöhen. Das soll nicht durch mehr, sondern durch weniger Vorschriften erreicht werden, sowie mittels Beseitigung von Trennlinien zwischen motorisierten und nicht motorisierten Fortbewegungsarten. In Shared Spaces fehlen eindeutige Abgrenzungen wie Bordkanten und Fahrbahnmarkierungen, sowie Verkehrszeichen oder Lichtsignalanlagen. Zum Teil wird nur eine Sorte Bodenbelag verwendet. Lediglich in den Eingangsbereichen der verkehrsberuhigten Straßenabschnitte weisen Beschilderung und aufmerksamkeitserzeugende bauliche Maßnahmen auf den Übergang in eine besondere Zone hin. In der Mehrheit der Fälle gilt neben einer Geschwindigkeitsbegrenzung lediglich das Prinzip "Rechts-vor-Links" des §1StVO. Flächen für ruhenden Verkehr sind nicht vorgesehen, Haltezeiten für Lieferverkehr, Beladen und Entladen auf bestimmte Tageszeiten begrenzt.

Diesen Gestaltungskriterien liegt folgende Absicht zu Grunde: Der Verzicht auf Abgrenzungen, Zeichen und Vorschriften soll Unsicherheit darüber erzeugen, wer sich wie zu verhalten hat, in der Konsequenz aber die Aufmerksamkeit schärfen. Buchstäblich eingefahrene Gewohnheiten und Erwartungen sollen ausgehebelt, der Autopilot im Kopf ausgeschaltet werden. Damit wird die Erwartung verbunden, dass sich nicht nur die schwächeren sondern auch die motorisierten Verkehrsteilnehmer auf das unmittelbare Geschehen konzentrieren und beispielsweise per Augenkontakt über den Vortritt verhandeln.

Das Prinzip des Verzichts auf verordnete Ordnung beginnt jedoch bereits in der Vorentwurfsphase. Obwohl es einige Kernkriterien für Shared Spaces gibt und bei Planung und Umsetzung selbstverständlich die gültigen Regeln der Technik und die gesetzlichen Vorschriften einzuhalten sind, ist das Konzept keine Richtlinie oder ein Design, das "von oben" geplant wird. Stattdessen setzt der Ansatz von Anfang an auf das gemeinsame Entwickeln und Erarbeiten durch diejenigen, die sich nachher die betreffende Zone teilen werden. Das heißt, BürgerInnenbeteiligung hat hier eine Schlüsselrolle.

Voraussetzungen

Shared Spaces finden in innerstädtischen Geschäftsstraßen und dörflichen Hauptstraßen Anwendung. Die Grundvoraussetzung für ihr Funktionieren ist ein vergleichsweise hohes Aufkommen an nichtmotorisiertem Verkehr, denn es bedarf eines Mindestmaßes an Fußverkehr und Radverkehr, damit AutofahrerInnen die Notwendigkeit des Herunterbremsens bewusst wird. Das klingt nach einem hohen Risiko, soll aber letztendlich zu mehr Sicherheit für alle führen.

Schwierigkeiten können auftreten, wenn zu wenige Fußgänger und zu viele Autos unterwegs sind, denn letztere bremsen in der Regel nicht für vereinzelte Leute auf der Straße. Deshalb muss ein optimales Mischverältnis beachtet werden. Shared Spaces in Wohngebieten sind daher nicht zielführend und Kompromisse gehen am Kerngedanken vorbei.

Verwandte Konzepte

In Stadtkernen weltweit wurde der Straßenraum z.T. bereits historisch geteilt, ohne dass es dazu eines neuen Konzepts bedurfte. Die bauliche Struktur war eine gewachsene, noch bevor einziehender Wohlstand zur Zunahme von Fahrzeugbesitz und Nutzung führte. So findet man in vielen europäischen Altstädten nach wie vor das ursprüngliche Pflaster von Hauswand zu Hauswand und, wie beispielsweise in Siena, überwiegend von FußgängerInnen, Motorrollern und vereinzeltem Lieferverkehr genutzt wird. In Japan, Indien und anderen asiatischen Ländern gibt es ebenfalls zahlreiche Beispiele für Verkehrsräume mit einheitlichem Straßenbelag und geteilter Nutzung für alle beteiligten Verkehrsarten.

In Deutschland finden sich neben herkömmlichen zentralen Fußgängerzonen, die teilweise von öffentlichen Verkehrsmitteln mitgenutzt werden, verkehrsberuhigte Bereiche, in denen Schrittgeschwindigkeit angezeigt ist; in Wohngebieten wurden seit den 1980er Jahren angelegten Tempo-30-Zonen und Spielstraßen angelegt. Das neuere aus der Schweiz stammende und dort bereits vielfach umgesetzte Konzept der Begegnungszone favorisiert Tempo 20 und bevorrechtigt Fußgängerverkehr.

Shared Space - sinnvoll für Deutschland?

Das Netzwerk Shared Space hat eine Projektliste zusammengetragen, die zeigt, dass der Gedanke in Deutschland Resonanz findet. Die neuen Gemeinschaftsstraßen scheinen Langsamverkehr zu fördern. Dennoch lässt sich fragen, ob man hierzulande ein weiteres Konzept der Verkehrsberuhigung braucht. Kann das überhaupt funktionieren und zugleich sicher und barrierefrei sein? Das hat nicht nur damit zu tun, dass deutsche Autofahrer möglicherweise weniger entspannt als Neuseeländer oder Kalifornier fahren. Erlauben die straßenrechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland etwas, das in der Schweiz nicht möglich ist?

Positive Erfahrungen mit Shared Spaces

Beispiele in verschiedenen Ländern zeigen, dass die Idee Erfolg haben kann. Evaluationen von Projekten in Dänemark und Großbritannien, den USA und Neuseelands Hauptstadt Auckland haben Erwartungen hinsichtlich der Entschleunigung von Geschwindigkeiten wie auch Reduzierung der Unfallzahlen bestätigt. So verzeichnete man in Auckland wachsende Fußgängermengen bei gleichzeitiger Zunahme von Aufenthaltsdauern, Gästeaufkommen in Lokalen und anderen, kostenfreien Aktivitäten. Insgesamt stieg die Lebensqualität. Die Verringerung des Autoverkehrs und die Abschaffung von Parkmöglichkeiten führten darüber hinaus nicht, wie von manchen Geschäftsleuten befürchtet, zu Verlusten für den ortsansässigen Handel sondern zu mehr Einnahmen.

Negative Erfahrungen

Probleme auf Nutzerseite sind besonders für Personen mit Mobilitätseinschränkungen sowie für Kinder entstanden. Für die Gestaltung von Shared Spaces findet die DIN 18040-3: 2014-12 "Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen – Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum" Anwendung. In die aktuelle Fassung sind neben den Anforderungen, die sich aus den Bedürfnissen von Menschen mit sensorischen Einschränkungen ergeben, auch Designkriterien für die Gestaltung von Gemeinschaftsstraßen nach dem Shared-Space-Gedanken eingeflossen. Offenbar wurde jedoch die Barrierefreiheit nicht in allen Fällen gewährleistet, was die Nutzung erschwert oder gar unmöglich gemacht hat. Die im Konzept angelegte Niveaugleichheit kann u. U. in Widerspruch zur Forderung eines stufenlosen Zugangs zu Fahrzeugen des ÖPNV geraten.

Zudem ist es beispielsweise kognitiv eingeschränkten Personen, Blinden und Sehbehinderten, hörbehinderten Menschen oder auch Kindern nicht möglich, an der Kommunikation des Sehens und Gesehenwerdens teilzunehmen, wie das Konzept Shared Spaces sie erfordert. So hat die mangelnde Abgrenzung und Kennzeichnung der Flächen sowie die Notwendigkeit erhöhter visueller Aufmerksamkeit unter anderem in britischen Projekten zu Kritik durch Blinden- und Sehbehindertenverbände geführt (MVA Report, 2010).

Die deutschen Erfahrungen sind in der Neufassung des Regelwerks "Hinweise zu Straßenräumen mit besonderem Querungsbedarf – Anwendungsmöglichkeiten des 'Shared Space'- Gedankens" der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) von 2014 aufgegriffen worden. Überhaupt noch nicht untersucht wurden jedoch die möglichen Auswirkungen des demografischen Wandels. AutofahrerInnen werden immer älter. Werden sie im Alter noch in der Lage sein, mit der absichtlich erzeugten Unsicherheit umzugehen, die das Shared-Space-Konzept vorsieht, und ihre Gewohnheiten einfach aufgeben können?

Fazit

Shared Spaces sind eine schöne Idee, die auf einer freundlichen Philosophie beruht. Sie sind jedoch kein Allheilmittel, das unterschiedslos und einem temporären Trend folgend in jeder Stadt an jedem Ort angewendet werden kann. Vielfältige örtliche Gegebenheiten und Nutzeranforderungen müssen berücksichtigt werden. Aus einem Entwicklungsprozess mit konsequenter BürgerInnenbeteiligung, wie sie das Konzept Shared Space vorsieht, kann ein Design resultieren, das vom Erwarteten abweicht, und sich manchmal auch bereits Bewährtes als das besser Geeignete herausstellen.

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Autorinfo

030 4058 2020

Silke Schilling, Dipl.Ing Tiefbau (TFH), war an der Planung des Berliner ÖPNV beteiligt und ist als Redakteurin, Journalistin und Grafik­designerin tätig.

Zusatzinfo

Quellen und Literaturhinweise:

Gehl, Jan (2010), Cities for People, Island Press

Auckland City Council Projects, NZ, 2012

MVA Report for Department of Transport UK, 2010

Rebstock, Markus (2012) in RKW Kompetenz­zentrum [Hrsg.]: Raum für Alle – Marktchancen für kleine und mittlere Unter­nehmen in der Stadt­entwicklung S.27-33, Eschborn

Baier, Reinhold / Eilrich Wolfgang / Rebstock, Markus et. al. (2014): Hinweise zu Straßenräumen mit beson­derem Querungsbedarf – Anwendungs­möglich­keiten des "Shared Space"-Gedankens.- Forschungs­gesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (FGSV) – AG Straßenentwurf [Hrsg.], FGSV 200/1

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