Barrierefreiheit für "umwelterkrankt" Behinderte
Umwelterkrankungen sind auf dem Vormarsch. MCS und EHS sind nur zwei Erkrankungen, bei denen Ärzte meistens ratlos und die Patienten auf sich alleine gestellt sind.
Während bei öffentlichen Gebäuden - zumindest bei Neubauten - zunehmend auf technische Fragen der Barrierefreiheit für physisch Beeinträchtige Rücksicht genommen wird, werden Fragen der Nutzungsmöglichkeit öffentlicher Gebäude, Verkehrsmittel für Umweltgeschädigte, Allergiker, Chemikaliensensitive bisher kaum diskutiert.
Barrierefreiheit für "umwelterkrankt" Behinderte
Eine ständig wachsende Zahl von Menschen, die auf Umwelteinflüsse, Schadstoffe, Strahlen mit völliger Unverträglichkeit reagieren, hat dazu geführt, dass sich inzwischen auch Behörden mit Umwelterkrankungen wie vor allem
- Multipler Chemikaliensensitivität - MCS
- Elektro- Hypersensitivität - EHS
auseinandersetzen müssen, diese Krankheiten, die in manchen Fällen eine Teilhabe am öffentlichen Leben völlig unmöglich machen, auch als "Behinderung" anzuerkennen.
Anders als bei Behinderungen des Bewegungsapparats, des Seh- und Hörvermögens fällt es Betroffenen meist sehr schwer, die Umwelt – Familie, Freundeskreis, Arbeitskollegen – vor allem aber auch Vermieter und Dienstgeber davon zu überzeugen, dass es sich bei ihrer Behinderung keineswegs um psychosomatisch verursachte Beschwerden, sondern um nachweisbare physische Erkrankungen handelt.
Die mangelhafte umweltmedizinische Versorgung in Deutschland wurde Anfang 2020 vom Robert-Koch-Institut erstmals "offiziell" bestätigt und erschwert Betroffenen die Beschaffung entsprechender Atteste.
Die Anerkennung der Behinderung durch die Versorgungsämter erfolgt in vielen Fällen erst nach mehrmaligen Einsprüchen – auch hier fehlt es an umweltmedizinischen Kenntnissen bei den Behörden.
Alltagprobleme auch nach Anerkennung der Behinderung
Selbst nach Anerkennung der Behinderung vermissen Betroffene eine ihnen laut UN-Behindertenrechtskonvention zustehende Unterstützung; selbst die Behindertenbeauftragten und die Bundes- und Landespolitik verweigern in den meisten Fällen jegliche Unterstützung, verweisen bestenfalls auf Sozialverbände, Caritas und Institutionen, die sehr oft aber selbst keinerlei Kenntnisse zu diesen Erkrankungen besitzen.
Barrierefreier Wohnraum
Ein besonderes Problem stellt für Betroffene die Beschaffung einer "barrierefreien" Wohnung dar; Landesbehindertenbeauftragte verweisen gerne an Architektenkammern, die sich grundsätzlich vorbildlich mit dem Thema "Barrierefreiheit" befassen – konkret für Umwelterkrankte aber lediglich auf eine "ökologische Bauberatung" verweisen.
Chemikaliensensitivität bedeutet aber Unverträglichkeit gerade auch gegenüber zahlreichen "Naturprodukten" – eine ökologische Baustoffauswahl bietet daher keinerlei Gewähr für eine entsprechende Verträglichkeit, kann bei Einsatz mancher "Naturprodukte" sogar zu zusätzlichen Beschwerden führen.
Auch die Einhaltung gesetzlicher Grenz- und Richtwerte bezüglich Schadstoffbelastungen ist hier nicht ausreichend, Betroffene reagieren in vielen Fällen auch bereits bei "Niedrigstkonzentrationen" auf individuell sehr unterschiedliche, keineswegs unbedingt toxische Stoffe.
Eine "Baustoffberatung" ist daher nur mit Produkten möglich, deren Hersteller bereit sind, ihre tatsächlichen umfassenden(!) Emissionswerte zur Verfügung zu stellen, statt mit teilweise sogar selbst erstellten Schadstoffaussagen und oft fragwürdigen "Industrie- Gütezeichen" ihre "Unbedenklichkeit" zu vermarkten.
In vielen Fällen ist eine Einbeziehung des behandelnden Umweltmediziners unverzichtbar.
Barrierefreier Arbeitsplatz
Die gleichen Probleme ergeben sich bei der Schaffung eines "barrierefreien Arbeitsplatzes" – nur selten sind Arbeitgeber bereit, auf die individuellen Erfordernisse einzugehen, um oft auch hoch qualifizierten Mitarbeitern eine "Weiterbeschäftigung" zu ermöglichen – selbst wenn Schadstoffprobleme am Arbeitsplatz die eigentliche Ursache für die Erkrankung waren.
Nur in Einzelfällen wird die Möglichkeit eines "Heimarbeitsplatzes" angeboten.
Barrierefreie Krankenhäuser, Arztpraxen
Umwelterkrankt Behinderten ist es nicht nur kaum möglich, eine qualitative umweltmedizinische Anamnese und Behandlung zu erhalten (meist bleibt es bei der Empfehlung für eine psychiatrische Untersuchung), das Problem beginnt bereits bei den Belastungen in den Wartezimmern, Behandlungsräumen durch Emissionen aus Wand- und Bodenbelägen, Möbeln, Gerüchen von Desinfektionsmitteln, Düfte von Deos anderer Patienten und medizinischer Mitarbeiter, oft auch der Ärzte selbst.
Dies bedeutet, dass selbst bei nicht behinderungsrelevanten "normalen" Krankheitsfällen der Besuch einer Arztpraxis oder eines Krankenhauses nicht möglich ist.
Soziale und ökonomisch Isolation als Folge der Erkrankung
Für Betroffene finden sich in allen Alltagsfragen massive Barrieren, Urlaube, der Besuch von Gaststätten, aber auch von Ämtern ist auf Grund der "Unverträglichkeit" der Räume meist unmöglich, selbst öffentliche Verkehrsmittel sind für viele derart "Behinderte" nur mit massiven gesundheitlichen Beschwerden benützbar, zumal viele Räumlichkeiten sogar noch zusätzlich mit völlig unverträglichen Stoffen "beduftet" werden.
In vielen Fällen führt die besondere "Sensitivität" zu einer völligen sozialen Isolation, die als Folge(!) der Erkrankung auch zu massiven psychischen Erkrankungen führen kann.
Die Unverträglichkeit des Arbeitsplatzes bedeutet aber in sehr vielen Fällen auch einen wirtschaftlichen Abstieg; in vielen Fällen endet dieser Abstieg bei Hartz IV, verbunden mit Unverständnis auch bei den Arbeitsagenturen, die den Mehraufwand für emissionsarme Reinigungsmittel, besonders schadstoffarme Nahrungsmittel und Güter des täglichen Bedarfs sehr oft nicht anerkennen wollen - ebenso wie manche Krankenkassen selbst ärztlich verschriebene Hilfsmittel (z.B. Luftreiniger) verweigern.
Lösungsansätze
Das Thema Umwelterkrankungen müsste unbedingt in den Beratungskatalog aller Institutionen, die sich mit Barrierefreiheit befassen aufgenommen werden - dies betrifft nicht nur die staatlichen Stellen (z.B. Behindertenbeauftragte, Gleichstellungsbeauftragte, Sozialämter...) sondern auch private Institutionen, (Sozialverbände, Architektenkammern, Gewerkschaften und andere Arbeitnehmerverbände, Mietervereine...).
Vordringlich erforderlich ist aber die Benennung von kompetenten Ansprechpartnern von staatlicher Seite, die Betroffenen bei der Suche nach entsprechender Unterstützung bei Wohnungsproblemen, Problemen am Arbeitsplatz, Auseinandersetzungen vor Sozialgerichten eine qualitative Hilfestellung anbieten und gegebenenfalls bei Auseinandersetzungen auch selbst intervenierend eingreifen – und nicht wie derzeit fast grundsätzlich von einer Stelle zur nächsten senden, wobei die meisten dieser benannten "Ansprechpartner" sich bis heute noch keinerlei Kenntnisse zu dieser Behinderung jemals "angeeignet" haben.