Bauen für ältere Menschen
Konzepte und Lösungen für altersgerechte Wohngebäude und Pflegeeinrichtungen
Wohnformen - Planung - Gestaltung - Beispiele
Von Gudrun Kaiser
Der demografische Wandel stellt neue Herausforderungen an Architekten und Planer, die über das barrierefreie Bauen weit hinausgehen. "Bauen für ältere Menschen" von Gudrun Kaiser zeigt Konzepte und Lösungen für altersgerechte Wohngebäude und Pflegeeinrichtungen auf und berücksichtigt dabei die besonderen Bedürfnisse älterer, mobil eingeschränkter oder demenzerkrankter Menschen.
Das Handbuch stellt zunächst die verschiedenen Wohnformen und Betreuungsformen vor: von individuellen oder gemeinschaftlichen Wohnformen bis hin zu stationären Pflegeheimen. Dabei erläutert die Autorin sowohl die Organisation als auch die Gestaltung einzelner Räume und Nutzungsbereiche. Konkrete Tipps und Ausführungsdetails helfen bei der Planung von Erschließungszonen, Aufenthaltsbereichen, Wohnräumen, Bädern und Außenanlagen, aber auch bei der detaillierten Gestaltung von Fenstern, Türen, Treppen und anderen Bauteilen.
Bei der Planung von altersgerechten Wohneinrichtungen und Pflegeeinrichtungen sind besondere baurechtliche und heimrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen, dies gilt insbesondere für den Brandschutz. Das Handbuch fasst diese komplexen Anforderungen zusammen und erleichtert so die Abstimmung zwischen Architekten, Fachplanern, Bauherren, Betreibern und Genehmigungsbehörden.
Anschauliche Beispiele mit Fotos und Grundrissen zeigen gelungene Projekte im Detail und liefern zahlreiche Anregungen. Zusammen mit den ergänzenden Planungstipps helfen sie bei der Realisierung bedarfsgerechter Wohnformen, die ein Höchstmaß an individueller Lebensqualität bieten.
Inhalt
Aktuelle Rahmenbedingungen für das Leben im Alter | Planungsgrundlagen | Wohnformen | Bauteile und Räume
Leseprobe
4.7 Wohnküchen und Gemeinschaftsräume
Mit den Wohnküchen hat sich durch die Verbreitung des Hausgemeinschaftskonzepts (siehe Kapitel 3.3.2) seit Ende der 1990er-Jahre eine neue Raumart in der stationären Pflegelandschaft etabliert, die sowohl die Tagesstruktur der Heimbewohner als auch die Personalorganisation sowie die Betreuungskonzepte in Pflegeeinrichtungen nachhaltig verändert.
Die geräumige Wohnküche bietet als Zentrum einer Wohngruppe vor allem Raum für das gemeinschaftliche Kochen und Essen in der Gruppe. Während dort vormittags die hauswirtschaftlichen Aktivitäten dominieren, dient die Wohnküche den Bewohnern nachmittags auch für Therapieangebote, zur gemeinsamen Beschäftigung und als Wohnzimmer zum Ausruhen oder Lesen.
Im Gegensatz zur bis dahin jahrzehntelang praktizierten zentralen Großküchenversorgung ermöglichen die Wohnküchen eine Dezentralisierung der vollständigen Mahlzeitenzubereitung und Mahlzeitenversorgung in das unmittelbare Wohnumfeld, d. h. in die Hausgemeinschaft der Heimbewohner. Das Kochen im Beisein und unter Beteiligung der Bewohner sowie die anschließende Einnahme der gemeinsam zubereiteten Mahlzeiten im überschaubaren räumlichen Rahmen einer Wohngruppe von 8 bis 10 Bewohnern ist der Kernbeitrag des Hausgemeinschaftskonzepts zur Normalisierung des dort gelebten Tagesablaufs.
Durch dieses Konzept entfallen wesentliche institutionelle Merkmale der Heiminfrastruktur, wie die bis dahin langen Wege und die erforderliche Logistik des Speisentransports zwischen Zentralküchen und Wohnbereichen.
Die Wohnküche verdeutlicht die Aufhebung der früher strikten räumlichen und personellen Trennung zwischen Hauswirtschaft und Pflege. Schutzkleidung tragende Küchenmitarbeiter, die Verteilwagen und Thermophoren durch Wohnbereichsflure schieben oder Tabletts austeilen und danach wieder in der Zentralküche verschwinden, sind in den Wohnküchen der Hausgemeinschaften nicht mehr anzutreffen.
Eine ständig in der Hausgemeinschaft anwesende Präsenzkraft übernimmt die hauswirtschaftliche und tagestrukturierende Betreuung und Einbeziehung der Bewohnergruppe, pflegende Mitarbeiter kommen bedarfsgerecht dazu.
Auch in ambulant betreuten Wohngemeinschaften (siehe Kapitel 3.2), deren Raumprogramm sich nicht wesentlich von stationären Hausgemeinschaften unterscheidet, bilden die Wohnküchen meist den zentralen, gemeinschaftlichen Aufenthaltsbereich und Wohnbereich.
4.7.1 Grundrissgestaltung
Die Umsetzung des Hausgemeinschaftskonzeptes erfordert eine voll ausgestattete Wohnküche mit Vorratsraum, die eine Mahlzeitenversorgung von 8 bis 12 Personen ermöglicht, und nicht nur eine in klassischen Wohnbereichen übliche Teeküche oder Versorgungsküche. Gleichzeitig ist die Wohnküche ein Gemeinschaftsraum, in dem die Bewohner nicht nur mehr oder weniger am Kochen und Essen teilnehmen oder teilhaben, sondern auch den Tag gemeinsam verbringen. Auch wenn das Thema Mahlzeiten den Tagesrhythmus maßgeblich strukturiert, soll der Raum auch anderen Aktivitäten und Bedürfnissen, vom Mittagsschlaf im Liegesessel bis hin zum Fernsehen, Lesen, Spielen u. Ä., dienen.
Diese Multifunktionalität der Wohnküche bedarf ausreichender Bewegungsfläche und Möblierungsfläche, die von Mitarbeitern sowie Bewohnern auch mit Rollstühlen und anderen Gehhilfen bequem nutzbar ist. Bestenfalls wird im Hausgemeinschaftskonzept die gesamte zur Verfügung stehende Gemeinschaftsfläche, also mindestens 5 m2 pro Bewohner, in der Wohnküche gebündelt und nach Möglichkeit in Bereiche für verschiedene Aktivitäten zoniert.
Da im Hausgemeinschaftskonzept und in ambulant betreuten Wohngemeinschaften die hohen Verkehrsflächenanteile klassischer Pflegeheime durch die kompakten Grundrisse deutlich reduziert sind, kann die Flächenersparnis stattdessen zusätzlich als Nutzfläche in die Wohnküchen eingebracht werden. Für eine gut nutzbare Möblierung und Ausstattung der Wohnküche mit zonierten Bereichen sind etwa 6 bis 8 m2 Nutzfläche pro Bewohner, jedoch eine Mindestgröße von 50 m2 NGF empfehlenswert.
4.7.2 Möblierung und Ausstattung
Die Küchenmöblierung soll die Bewohner zur Beteiligung an den hauswirtschaftlichen Aktivitäten einladen und herausfordern. Selbst Bewohner, die nicht aktiv an der Vorbereitung von Mahlzeiten teilnehmen, können unter diesen Bedingungen beobachten, zuhören oder teilhaben, Blickkontakt halten und in die Kommunikation eingebunden werden.

Zur Küchenmöblierung gehören alle Elemente und Geräte einer normalen Küchenausstattung. Den größten Raum beansprucht neben den Küchenmöbeln der Essbereich. Es muss ausreichend Platz für mehrere Rollstuhlfahrer einkalkuliert werden. 2 Personen, die sich an einem 90 cm breiten Tisch in Rollstühlen gegenübersitzen, benötigen eine Platztiefe zwischen 2,40 und 3,00 m (siehe Abb. 4.121). Für das Rangieren am Essplatz allein oder mit Helfern ist der Bewegungsradius von 150 cm zugrunde zu legen. Empfehlenswert und kommunikationsfördernd sind lange Tische ab 90 cm Tiefe, an denen sich die Bewohner auch im Rollstuhl mit ausreichendem, aber nicht zu großem Abstand gegenübersitzen können und auch die kurze Seite einen ausreichenden Essplatz bietet.
Kontraste zwischen Farbe und Material von Tisch und Boden, von Geschirr und Tischplatte, von Getränken und Gläsern oder Bechern erleichtern die Wahrnehmung und Erkennung der Gegenstände und Nahrungsmittel.
Viele Innenarchitekten und Anbieter von Pflegeheimausstattungen haben sich seit Einführung des Hausgemeinschaftskonzepts mit der wohnlichen Gestaltung bewohnerfreundlicher Wohnküchen in Pflegeeinrichtungen auseinandergesetzt und bieten verschiedene und variable Entwürfe und Möblierungsprogramme an. Unterschiedliche Betreiberkonzepte, hygienische und behördliche Auflagen haben zu verschiedenen Wohnküchenmodellen in Hausgemeinschaften geführt, die sich vor allem durch die Offenheit und Zugänglichkeit für die Bewohner unterscheiden.

Wohnküchen mit frei stehenden Kochinseln und Arbeitsinseln
Für die Einbeziehung der Bewohner in die Mahlzeitenzubereitung eignen sich am besten offene Küchen ohne räumliche Abtrennung vom Essbereich und Wohnbereich mit frei stehenden oder mobilen umfahrbaren und unterfahrbaren Kochinseln sowie Arbeitsflächen in unterschiedlicher Höhe für Sitzende und Stehende. Bei dieser Möblierung ist zumindest räumlich keine Hierarchie zwischen Mitarbeitern und Bewohnern bei der Küchennutzung erkennbar.
Wohnküchen mit Theke
Die Abtrennung des Kochbereichs von der Mahlzeiteneinnahme und dem Gemeinschaftsbereich durch eine thekenartige Arbeitszeile ist die häufigste Variante der Wohnküchenmöblierung (siehe Abb. 4.125).
Wohnküchen mit wandseitiger Küchenzeile
Lange Wandküchenzeilen ohne frei stehende Insel oder Kochtheke lassen vor allem in kleineren Wohnküchen mehr Freifläche für eine großzügige Möblierung und Zonierung des Raumes. Andererseits wenden die Beschäftigten bei der Arbeit dem Raum und den anderen Mitbewohnern den Rücken zu. Das kann Einblicke und Kommunikation beeinträchtigen.
Räumlich separierte Wohnküchen
In einigen Wohnküchen dominiert der Wohncharakter und Aufenthaltscharakter und die Funktionen Kochen und Wohnen sind räumlich stärker voneinander getrennt als in offenen Grundrissbeispielen. Es entsteht eine räumlich großzügige, restaurantähnliche Atmosphäre (siehe Abb. 4.128).

Je besser die Zugänglichkeit, der Sichtkontakt sowie die Einbeziehung der Bewohner in die Räumlichkeiten und die Mahlzeitenzubereitung, desto besser funktionieren das gemeinschaftliche Hauswirtschaften und die komplette Selbstversorgung. Sobald die Bewohner räumliche Hürden wie Türen, Raumteiler oder sonstige Schranken zum Kochbereich überwinden müssen, wird die Küche überwiegend als Personalbereich begriffen. Manchmal stellt schon der Wechsel des Bodenbelags eine Zutrittshemmung dar. Die Bewohneraktivitäten lassen in diesen Küchen nach, wenn nicht eine starke Aktivierung und Ansprache durch die Mitarbeiter und Präsenzkraft stattfinden.
4.7.3 Bewohnerbeteiligung und Hygiene
Ein Rückgang der Bewohnerbeteiligung und der selbstständigen Versorgung tritt insbesondere dort auf, wo übertriebene Hygienebedenken und Sicherheitsbedenken oder tradierte Versorgungsvorstellungen die Maßstäbe der Großkücheninfrastruktur auch für kleine Wohngruppen von 8 bis 12 Personen zugrunde legen. Wenn Demenzerkrankten der Zugang zum Herd und Kühlschrank aus Sicherheitsgründen prinzipiell verweigert, beim Kochen ein Spuckschutz gefordert und der Zugang zum Kühlschrank durch eine Pendeltür gebremst wird, ist der Sinn des Hausgemeinschaftskonzepts weitgehend verfehlt.
Schnell erfolgt unter diesen Umständen die Rückkehr zum Kochen mit angelieferten Komponenten oder die Beschränkung der Bewohnerbeteiligung auf gelegentliches gemeinsames Kuchenbacken als therapeutische Maßnahme. Um dies zu vermeiden, sollten die genehmigenden Behörden, die zuständigen Veterinärämter und Gesundheitsämter, aber auch die Mitarbeiter frühzeitig mit dem Ziel der Bewohnereinbindung vertraut gemacht und in die Planung konstruktiv eingebunden werden. Auch in Hausgemeinschaften ist von allen Beteiligten die Einhaltung gemeinsam festgelegter und kontrollierter Hygienemaßnahmen beim Kochen und Essen zu beachten, jedoch ist hier eher der Situationsvergleich mit einer Großfamilie als mit einer Kantine angebracht. (...)
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