Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihre Umsetzung in Deutschland#print

Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wird regelmäßig überprüft. Neuer Schwung für die UN-BRK in Deutschland: Wie weiter nach der zweiten Staatenprüfung?

Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland

Höhenverstellbarer Rollstuhl, hochgefahren, mit Nutzerin an einem RegalBildmontage: Mann mit Schuhen und Frau barfuß gehen über die NullschwelleFingerklemmschutztür am verglasten Durchgang zwischen Entrance und Flur

Das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) ist ein internationales Menschenrechtsabkommen, das 2006 von der UNO-Generalversammlung verabschiedet und 2009 von Deutschland ratifiziert wurde.

"Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern." (Artikel 1)

Leitgedanke der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) ist die Verwirklichung der inklusiven Gesellschaft, die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben.

Die Umsetzung wird regelmäßig in einem Staatenberichtsverfahren überprüft.

Das Staatenberichtsverfahren in Deutschland 2015 - 2023

Zum ersten Mal wurde die Umsetzung des "Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" 2015 evaluiert. In den abschließenden Bemerkungen über den ersten Staatenbericht Deutschlands im Jahr 2015 hob der UN-Fachausschuss folgende Aspekte positiv hervor:

• Die Verabschiedung eines nationalen Aktionsplans zur Umsetzung des Abkommens,

• die Einsetzung einer Bundesbeauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen,

• die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes

• und die offizielle Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache als eigene Sprache.

Kritisiert wurde jedoch unter anderem die Umsetzung des Artikels 19 "Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft", des Artikels 24 "Bildung" und des Artikels 27 "Arbeit und Beschäftigung".

Nun erfolgte das zweite Staatenberichtsverfahren. Im September 2019 reichte die Bundesrepublik den kombinierten zweiten und dritten Staatenbericht ein, im Mai 2023 reicht die Bundesrepublik eine Aktualisierung des Staatenberichtes ein, der den Zeitraum von 2019 bis 2023 umfasst. Im Juli 2023 reichten Organisationen der Zivilgesellschaft und die Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte ihre Parallelberichte beim UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.

Deutschland muss nun die Empfehlungen des UN-Fachausschusses, die dieser im Oktober 2023 veröffentlichte umsetzen. Den nächsten Staatenbericht muss Deutschland 2031 einreichen.

Neuer Schwung für die UN-BRK in Deutschland: Wie weiter nach der zweiten Staatenprüfung?

Nachdem der UN-Fachausschuss seine "Abschließenden Bemerkungen", die Kritikpunkte und Empfehlungen an Deutschland beinhalten, im Oktober 2023 veröffentlichte, muss nun die innerstaatliche Umsetzung erfolgen.

Um der Politik die dringendsten Handlungsschritte zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) aufzuzeigen, haben das Deutsche Institut für Menschenrechte und der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen Jürgen Dusel gemeinsam eine BRK-Konferenz ins Leben gerufen. Unter dem Titel "Neuer Schwung für die UN-BRK in Deutschland: Wie weiter nach der zweiten Staatenprüfung?" fand diese am 27. Februar 2024 in Berlin statt.

Kritik an überwiegend institutionalisierter Wohnform

Staatenberichtsverfahren "Wohnen" 2015 -2023

Der UN-Fachausschuss kritisierte 2015 den hohen Grad der Institutionalisierung (z. B. Pflegeeinrichtungen) und den Mangel an alternativen Wohnformen. Das Recht mit angemessenem Lebensstandard in der Gemeinschaft zu leben sei auch dadurch beeinträchtigt, dass der Zugang zu Leistungen und Unterstützungsdiensten einer Bedürftigkeitsprüfung unterliege und infolgedessen nicht alle behinderungsbedingten Aufwendungen abgedeckt werde. Empfohlen wird, Inklusion und Selbstbestimmung mit Hilfe umfangreicher sozialer Assistenzdienste zu ermöglichen und ausreichende Finanzmittel verfügbar zu machen, um die Deinstitutionalisierung und ambulante Dienste zu fördern.

Im Staatenbericht 2019 verweist die Bundesregierung auf die Reform des Bundesteilhabegesetzes (BTHG), die sich nicht länger an der Wohnform sondern am individuellen Bedarf orientiere. Durch das Persönliche Budget könnten betroffene Menschen sich die notwendigen Unterstützungsleistungen selbst organisieren. Die Umsetzung des BTHG liege bei den Ländern. Besonders gefördert werde das Wohnen in der eigenen Häuslichkeit. Auch werde der Aufbau neuer gemeinschaftlicher Wohnformen, wie Wohn-Pflege-Gemeinschaften und barrierefreie Quartiersmodelle unterstützt. Die Bereitstellung barrierefreier Wohnangebote sei Gegenstand von Förderprogrammen. Ein Schwerpunkt liege dabei auf der sozialen Wohnraumförderung.

In Deutschland fehlten 2018 bereits 386.000 Wohnungen für Rollstuhlfahrer. Durch den demografischen Wandel stieg der Bedarf 2020 schon auf drei Millionen barrierefreie Wohnungen und wird in Zukunft weiter ansteigen.

Der UN-Fachausschuss zeigt sich auch 2023 in seinen Abschließenden Bemerkungen zum Artikel 19 UN-BRK "Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft" besorgt über die weitgehende Segregation von Menschen mit Behinderungen in Heimen und fordert Deutschland auf eine umfassende Strategie zur Deinstitutionalisierung zu entwickeln. Auch sollten Hindernisse beseitigt werden, die Menschen bei der Wahl des Wohnortes behindern, indem das Angebot an erschwinglichen und zugänglichem Wohnraum erhöht, die Komplexität bei der Inanspruchnahme persönlicher Budgets verringert wird und der individuelle Bedarf zugrunde gelegt wird.

Auch in den Bemerkungen zu Artikel 9 UN-BRK "Zugänglichkeit" kritisiert der Ausschuss das unzureichende Angebot an erschwinglichem, barrierefreiem Wohnraum und die oft unzureichenden Baustandards der Bundesländer. Er empfiehlt, die gesetzlichen Anforderungen an barrierefreiem Wohnraum für öffentliche und private Nutzung in Neubau und Bestand auszuweiten und zu verschärfen. Der Bau neuer nicht barrierefreier Wohnungen sollte nur in eng definierten Ausnahmefällen zulässig sein. Bestehende Normen für Barrierefreiheit wie DIN 18040-3 (Barrierefreies Bauen - Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum) sollten ins geltende Recht überführt werden.

Das Forum "Wohnen" der BRK-Konferenz fordert unter anderem

  • ausreichend bezahlbaren, gemeindenahen barrierefreiem Wohnraum schaffen und den sozialen Wohnungsbau unter inklusiven Gesichtspunkten fördern.
  • In den Landesbauordnungen Regelungen aufnehmen, die die uneingeschränkte Barrierefreiheit im Neubau verpflichtend und zum Standard machen. Ausnahmeregelungen aufgeben oder auf das Minimum beschränken.

Forderung: Inklusion statt Förderschulen

Staatenberichtsverfahren "Bildung" 2015 -2023

Während die UN ein integratives Schulsystem vorschreibt und Deutschland sich verpflichtet hat, "dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden" (Artikel 24 Abs. 2 a UN-BRK) dürfen, sieht die Realität anders aus.

Bei der Evaluation 2015 wurde festgestellt, dass noch immer vorwiegend separate Förderschulen für die schulische Ausbildung von Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen genutzt werden. Der UN-Ausschuss empfiehlt, dieses Förderschulsystem abzubauen und allen Kindern, die dies wünschen, den sofortigen Zugang zu regulären Schulen zu ermöglichen. Es sei sicherzustellen, dass alle Lehrkräfte auf dem Gebiet der inklusiven Bildung geschult, das schulische Umfeld und Lernmaterialien zugänglich seien.

Im Staatenbericht 2019 betont die Bundesregierung, dass die Kompetenzbeschreibungen für die Aus- und Fortbildung von Lehrkräften unter dem Aspekt der Etablierung inklusiver Bildungsangebote überarbeitet worden seien. Unter bestimmten Voraussetzungen könnten technische und personelle Hilfen über die Eingliederungshilfe gefördert werden. Die Barrierefreiheit von Schulen seien Aufgabe der kommunalen Schulträger. Das Recht auf den Besuch einer Regelschule für Kinder mit Behinderungen sei in den Schulgesetzen aller Länder verankert.

In den Abschließenden Bemerkungen 2023 kritisiert der Fachausschuss das Fehlen einer vollständigen Umsetzung der integrativen Bildung im gesamten Bildungssystem, das Vorherrschen von Sonderschulen und die Hindernisse, auf die Kinder mit Behinderungen und ihre Familien stoßen, wenn sie in Regelschulen eingeschult werden wollen. Ein umfassender Plan zur Beschleunigung des Übergangs von der Sonderschule zur integrativen Bildung auf Länder- und Gemeindeebene soll entwickelt und Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagnen zur Förderung der integrativen Bildung auf kommunaler Ebene und bei den zuständigen Behörden durchgeführt werden. Auch sollte sicher gestellt werden, dass Kinder mit Behinderungen Regelschulen besuchen können. Die öffentlichen Schulen sollten sich an alle Arten von Behinderungen anpassen und die Zugänglichkeit verbessern.

Das Forum "Bildung" der BRK-Konferenz fordert unter anderem

  • eine Gesamtstrategie, um den Übergang von Förderschulen zu inklusiver Bildung zu beschleunigen
  • einheitliche Qualitätsstandards zur Systemumstellung insbesondere Vorgaben zur barrierefreien Zugänglichkeit von Schulen
  • Systematische Aus- und Fortbildung von Lehrkräften und nicht lehrendem Personal
  • Übergänge zwischen den Bildungsschritten individuell begleiten
  • Informationskampagnen zum Verständnis und den Vorteilen inklusiver Bildung insbesondere für Landesbehörden und Kommunen

Werkstätten als Behinderung der Teilhabe?

Staatenberichtsverfahren "Arbeit" 2015 -2023

Der UN-Ausschuss kritisierte 2015 finanzielle Fehlanreize, die Menschen mit Behinderungen am Eintritt oder den Übergang in den allgemeinen Arbeitsmarkt hindern und dass Werkstätten für behinderte Menschen weder auf den Übergang zum allgemeinen Arbeitsmarkt vorbereiten noch diesen Übergang fördern würden. Empfohlen wird einen inklusiven Arbeitsmarkt und Beschäftigungsmöglichkeiten an barrierefreien Arbeitsplätzen zu schaffen, Werkstätten für behinderte Menschen dagegen schrittweise durch Anreize für die Beschäftigung bei Arbeitgebern im allgemeinen Arbeitsmarkt abzuschaffen.

Im Staatenbericht 2019 sieht die Bundesregierung anhand der bis 2017 erhobenen statistischen Daten eine positive Entwicklung, auch wenn es schwerbehinderten Arbeitslosen es trotz durchschnittlich besserer Qualifikation seltener gelänge als nicht schwerbehinderten, eine Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt aufzunehmen. Zudem wird auf diverse Fördermittel verwiesen, die die Beschäftigungsrate Behinderter steigern sollen. Mit dem Budget für Arbeit im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes sei ein Instrument geschaffen worden, das dazu beitrage, aus den Werkstätten für Behinderte auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln.

Im zweiten Staatenprüfverfahren sieht der Fachausschuss die von der Bundesregierung im Staatenbericht 2019 postulierte positive Entwicklung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht. In den Abschließenden Bemerkungen 2023 zeigt sich der Ausschuss besorgt über die hohe Arbeitslosigkeit von Menschen mit Behinderungen sowie der hohen Zahl von Menschen mit Behinderungen in geschützten Werkstätten und deren niedrige Übergangsquote auf den offenen Arbeitsmarkt.

Der Ausschuss empfiehlt, unter aktiver Beteiligung von Organisationen von Menschen mit Behinderungen einen Aktionsplan zur Förderung des Übergangs von Menschen mit Behinderungen in geschützten Werkstätten auf den offenen Arbeitsmarkt in allen Bundesländern zu entwickeln und die Beschäftigungsquoten für Menschen mit Behinderungen sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor durchzusetzen.

Das Forum "Arbeit" der BRK-Konferenz fordert unter anderem

  • Transformationsprozess des gesamten Ausbildungs- und Arbeitssektors
  • Barrierefreiheit von Arbeits- und Ausbildungsstätten verbessern und Beschäftigungsquoten durch wirksamere Mittel als die Ausgleichsabgabe durchsetzen
  • Ausbildungen außerhalb von Sonderstrukturen absolvieren und den Automatismus "Werkstatt" aufbrechen
  • Anspruchsvoraussetzungen für die Budgets für Ausbildung und Arbeit ändern
  • Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber motivieren und unterstützen

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