Interview: Diese Hürden lassen sich nehmen#print

Fragen & Antworten zum Thema barrierefreies und altersgerechtes Bauen. Die Berliner Architektin Sonja Hopf, Initiatorin der Internet-Seite nullbarriere.de, im Gespräch mit Wiltrud Zweigler vom Berliner Pressebüro

Diese Hürden lassen sich nehmen

- Altersgerecht bauen und umbauen -

mit Gehilfen vor der Tür, 2 Stufen sind zu viel Treppenplattformlift zur Überwindung einer steilen Außentreppe Bobbycar fährt über eine barrierefreie Schwelle einer Terrassentür Schwellenfreie, bodengleiche Duschrinne

Frau Hopf, der erste Satz auf Ihrer Homepage heißt: „Sie interessieren sich für Informationen rund um das barrierefreie, behindertengerechte Planen, Bauen und Wohnen? Herzlich willkommen!“ Ehrlich gesagt, ohne konkreten Anlass interessiert mich das erstmal nicht.

So denken vermutlich alle, die nicht auf einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen sind. Doch für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen mit eingeschränkter Mobilität leben müssen, ist Barrierefreiheit eine zwingende Grundvoraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Aber Sie kennen sicher auch die Situation, wenn eine Mutter mit Kinderwagen lange, steile Treppen überwinden muss, weil kein Aufzug da ist. Sie erleben geh- oder sehbehinderte Personen, geistig Behinderte und Menschen mit chronischen Erkrankungen oder vorübergehenden Unfallfolgen oder einfach Ältere, die nicht mehr so flink in den Bus steigen können. Und jetzt stellen Sie sich die Menschen zu Hause vor: Passt der Rollstuhl durch die Wohnzimmertür, die Badtür? Muss der Rollator vor jeder Balkonschwelle angehoben werden? Wo ist im Hausflur Platz zum Abstellen des Kinderwagens? Barrierefreiheit liegt im Interesse aller - für etwa 10 Prozent der Bevölkerung ist sie zwingend erforderlich, für etwa 30 bis 40 Prozent notwendig und für 100 Prozent komfortabel.

Kompetenz vermitteln und beraten

Welche Idee steckt hinter nullbarriere.de?

Wir vermitteln zwischen Herstellern, Architekten, Handwerkern und Betroffenen. Wir wissen, dass den meisten Menschen, die sich mit Barrieren konfrontiert sehen, der rote Faden und somit die Handlungskompetenz fehlt. Was kann man ändern? Welche Rechte habe ich? Wo bekomme ich Hilfe? Welche Geldquellen kann ich anzapfen? Wir informieren und beraten bis hin zu den Modalitäten bestimmter Anträge, der Vorstellung von Produkten - wie Anti-Rutsch Streifen für Duschen - und weisen darauf hin, dass verschiedene Hilfsmittel - wie Haltegriffe - ärztlich verordnet und nicht selber bezahlt werden müssen. Auf unserer Homepage finden Sie alles, was im weitesten Sinne mit Barrierefreiheit im Alltag zu tun hat: Angefangen von den gesetzliche Richtlinien und Normen über Praxisbeispiele, Erfahrungsberichte Betroffener und Finanzierungsmöglichkeiten seniorengerechter Umbauten.

Mit welchen Anliegen wenden sich die Leute beispielsweise an Sie?

Da geht es um den Umbau eines Hauses zu einer Senioren-WG. In ein Haus mit zehn Eigentumswohnungen soll ein Treppenlift eingebaut werden. Ein Gehbehinderter fragt, ob er gegen den Willen des Vermieters einen Treppenlift einbauen lassen kann, um seine Wohnung in der 4. Etage erreichen zu können. Es geht um die Beleuchtung der Wohnung eines stark Sehbehinderten, um die Planung von Behindertenparkplätzen und die Finanzierung eines seniorengerechten Bades. Ein Gaststättenbesitzer erkundigt sich, wie er einen behindertengerechten Zugang bauen lassen kann. Unser Portal besuchen monatlich fast 100.000 Leute.

Davon sind vermutlich die meisten im Seniorenalter.

Das kann ich nicht belegen, weil die wenigsten ihr Alter angeben und uns häufig auch Angehörige kontaktieren. Im Wesentlichen haben wir es mit drei Gruppen zu tun: Diejenigen, die durch Unfall oder Krankheit plötzlich eingeschränkt sind und sich hauptsächlich zu Hause aufhalten müssen. Diejenigen, die bei der Modernisierung ihres Hauses oder ihrer Wohnung einkalkulieren, dass möglicherweise jemand zum Pflegefall wird. Und schließlich jene, die ihr Zuhause vorausschauend so gestalten, dass notwendige Umbauten im Falle einer Behinderung später ohne großen Aufwand erfolgen können.

Jetzt planen und an später denken

Die Vorausschauenden sind vermutlich die kleinste Gruppe.

Stimmt, denn die wenigsten Leute mögen sich selber in einen Zustand hineindenken, indem sie nur noch eingeschränkt beweglich und oft auf fremde Hilfe angewiesen sind. Und doch sollte man es tun, wenn man, so lange es geht, im gewohnten sozialen Umfeld und in den eigenen vier Wänden bleiben will - ganz gleich, ob Haus oder Wohnung. Auch die schönste Altbauwohnung im vierten Obergeschoss ist nach einer Hüftoperation nur sehr mühsam zu erreichen.

Nach einer Studie des Bundesfamilienministeriums wollen mindestens 80 Prozent der Bundesbürger möglichst lange in den heimischen vier Wänden wohnen. Was raten Sie jenen Vorausschauenden, die heute Mitte 30, Anfang 40 sind, und sich ein Haus kaufen oder bauen?

Wichtig sind ein ebenerdigen Zugang zum Haus, ein einstöckiges Haus oder Platz für einen Lift oder Personenaufzug in die obere Etage. Im Bad sollte man darauf achten, dass der Raum für das Rangieren mit einem Rollstuhl ausreicht, dass statt einer Wanne oder zusätzlich zu einer Wanne eine bodengleiche Dusche eingebaut wird. Und, dass die Badezimmertür nach außen aufgeht. So kann man jemandem, der hingefallen ist, besser zu Hilfe kommen. Die Türbreite sollte rollstuhlgerecht sein. Türschwellen verbieten sich von selbst. Solche Maßnahmen sind später entweder nicht mehr möglich oder sehr kostenaufwendig. Den Rat eines Architekten sollte man dabei nicht scheuen. Und: Die potenziellen Hausbesitzer sollten sich bewusst anschauen, wie ihre Eltern oder Großeltern in ihrem Zuhause zu recht kommen. Barrierefreies Planen beginnt bei der Beseitigung der Barrieren in den Köpfen. Das gilt nicht nur für Architekten, sondern auch für private Häuslebauer.

Informieren und entscheiden

Was ist zu tun, wenn jemand von einem Tag auf den anderen mit Mobilitäts- oder Aktivitätseinschränkungen leben muss?

Wenn feststeht, was der Betroffene noch kann beziehungsweise was er nicht mehr kann, beginnen die Überlegungen, wie man einerseits seine Selbstständigkeit erhalten, andererseits Hilfestellungen organisieren kann. Das ist natürlich immer sehr individuell. Erster Ansprechpartner sind der behandelnde Arzt, der auch über den weiteren Krankheitsverlauf Auskunft geben kann, der Sozialdienst im Krankenhaus und eine Beratung bei der Pflegekasse beziehungsweise in einem Pflegestützpunkt. Dabei stellen sich im Wesentlichen drei Fragen: Inwieweit muss die Wohnung angepasst werden? Welche Hilfsmittel werden gebraucht? Wer bezahlt was? Bekommt der Betreffende einen Pflegegrad, kann es von der Pflegekasse einen Zuschuss für Umbauten in der Wohnung geben. Sind größere bauliche Veränderungen nötig, kann man einen Bausparvertrag nutzen. Zusätzlich lässt sich ein spezieller, zinsgünstiger KfW-Kredit beantragen. Mit diesem wird Barrierefreiheit in bestehenden Wohnungen oder Häusern gefördert - unabhängig vom Alter und der Einschränkung des Betroffenen. Fördermittel für den barrierefreien Umbau gibt es unter bestimmten Bedingungen auch von den Länderregierungen.

In kurzer Zeit müssen eine Menge Entscheidungen getroffen werden. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Betroffenen und ihre Angehörigen damit überfordert sind. Wer kann schon entscheiden, ob für den Vater, der einen Schlaganfall erlitt, ein Treppensitzlift oder ein Treppenplattformlift besser geeignet sind?

Die Entscheidung können wir keinem abnehmen, aber wir können umfassend beraten, weil wir die technischen Möglichkeiten der Wohnungsanpassung genau kennen. Mit uns arbeiten Architekten und Planer, die sich auf Barrierefreiheit spezialisiert haben. Außerdem bringen wir persönliche Erfahrungen ein. Ich habe meine Mutter über Jahre zu Hause gepflegt und wohne selber in einem barrierefreien Haus.

Modernisieren und Hürden beseitigen

Was empfehlen Sie Leuten, die ihr Haus oder ihre eigene Wohnung im Zuge einer Modernisierung barrierefrei gestalten wollen?

Ein wichtiger Effekt unserer Arbeit ist es, dafür zu sensibilisieren, dass Modernisierung und Barrierefreiheit zusammen gedacht werden. Nehmen Sie das Badezimmer in einem Eigenheim. Nach zehn, spätestens fünfzehn Jahren ist eine Modernisierung fällig. Dann sind die Bewohner, die mit 40 zum Beispiel gebaut haben, Mitte 50 oder älter und der Gedanke an gesundheitliche Einschränkungen nicht mehr so weit weg. Wir sagen: Bei der Modernisierung heute bereits an die Einschränkungen von morgen denken. Wenn Fliesen sowieso abgehackt werden und eine neue Badewanne sein muss, ist es bis zu Maßnahmen zur Barrierefreiheit nur ein kleiner Schritt.

Mietwohnung ohne Stolpersteine

Nicht alle leben im Wohneigentum, wollen trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen in ihrer Mietwohnung bleiben. Inwieweit ist der Vermieter in der Pflicht?

Jetzt sage ich Ihnen den Gesetzestext: Nach Paragraf 554 Absatz 1 BGB kann der Mieter vom Vermieter die Zustimmung zu baulichen Veränderungen oder sonstigen Einrichtungen verlangen, die für eine behindertengerechte Nutzung der Mietsache oder den Zugang zu ihr erforderlich sind. Der Vermieter kann jedoch seine Zustimmung verweigern, wenn er an solchen Veränderungen nicht interessiert ist. Das Gesetz hilft also nicht viel. Doch wir raten immer zu einem Gespräch, statt zu resignieren. Es ist keine große Investition für den Vermieter, zum Beispiel eine sichere Abstellmöglichkeit für einen Rollator im Hauseingangsbereich zu schaffen. Der Betroffene wäre sehr dankbar. Auch bei Vermietern wird es ein Umdenken geben. Da bin ich mir ganz sicher.

Seniorengerecht, behindertengerecht, barrierefrei. Die Begriffe scheinen synonym verwendet zu werden. Welcher ist richtig?

Da kommen wir wieder zu unserem Ausgangspunkt zurück. Gehbehinderte Menschen oder Rollstuhlfahrer, blinde, seh- oder hörbehinderte Personen sowie Geistig- und Lernbehinderte, chronisch Kranke oder Personen mit zeitweiligen gesundheitlichen Einschränkungen müssen nicht zwangsläufig älter als 60 oder 70 sein. Ich meine, dass der Begriff "barrierefrei" die Situation am besten beschreibt. Zusätzlich muss man an die Bewegungsflächen für Rollstuhlfahrer und Nutzer von Rollatoren denken - barrierefrei und rollstuhlgerecht.

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