Barrierefreie Wohnungen in den Landesbauordnungen#print

400.000 neue Wohnungen pro Jahr - Wie viele davon müssten barrierefrei sein? Die 16 Landesbauordnungen regeln die Anzahl der zu bauenden barrierefreien Wohnungen und deren Gestaltung.

In Deutschland mangelt es flächendeckend an barrierefreiem Wohnraum: Weniger als 2,5 % der vorhandenen etwa 37 Millionen Wohnungen sind "barrierereduziert".

Die bestehenden Förderinstrumente und Bauvorschriften reichen nicht aus, um die Barrierefreiheit im Wohnungsbestand signifikant zu verbessern. Vorhandene Regulierungsmöglichkeiten werden nicht ausgeschöpft, meist mit der Begründung von höheren Baukosten durch mehr Flächenverbrauch für Barrierefreiheit. Dies zeigt, dass auch bei Neubauten wirtschaftliche Interessen nach wie vor höher gewichtet werden als die Vorgaben der UN-BRK. Die Missachtung von Artikel 9 und 19 UN-BRK hat zur Folge, dass man im Wohnungsneubau weiter massiv Barrieren produziert, die den Baubestand der nächsten Jahrzehnte prägen werden. [Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte]

Wohnraum: barrierefrei oder barrierereduziert oder eventuell auch mit dem Rollstuhl nutzbar?

Skizze Bungalow mit GarageVerglaster Außenlift an einer HausfassadeTreppe mit Kautschuk belegt und StufenmarkierungKlingelanlage mit BriefkästenFrau mit Rollator geht durch die geöffnete WohnungseingangstürRollator fährt schwellenlos auf die Terrassebarrierefreies BadSenioren vor einem Auszugschrank in der Küche

400.000 neue Wohnungen pro Jahr - Wie viele davon müssten barrierefrei sein?

Zitat aus Interview: 18.02.2022 Bundesfachstelle Barrierefreiheit: Interview mit Martin Müller, Vizepräsident der Bundesarchitektenkammer

"Nach meiner Einschätzung sollte ein signifikanter Teil der neuen Wohnungen barrierefrei gestaltet sein, zumindest aber die vorgesehenen 100.000 Sozialwohnungen. Das Statistische Bundesamt meldete 2018, dass nur etwa 2 % aller (ca. 43 Mio.) Wohnungen und Einfamilienhäuser annähernd barrierefrei sind, jedoch ca. 13 Mio. Menschen in Deutschland mit einer Beeinträchtigung leben.
Der Bedarf ist also sehr groß, darauf weist auch Jürgen Dusel, der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung hin. Er betont immer, dass eigentlich nur barrierefreier Wohnungsbau den Namen sozialer Wohnungsbau verdiene - dem möchte ich mich anschließen. Mit Blick auf den demografischen Wandel und eine immer älter werdende Gesellschaft muss man unbedingt von einem stark steigenden künftigen Bedarf ausgehen und auch danach handeln."

Barrierefreie Wohnungen sind eine erhebliche Erleichterung des alltäglichen und selbstbestimmten Lebens für mobilitätseingeschränkte Menschen. Eine Wohnung wird als barrierefrei bezeichnet, wenn folgende Standards der Bauweise eingehalten werden:

  • der Zugang zur Wohnung ist barrierefrei gestaltet,
  • innerhalb der Wohnung oder zum Balkon/zur Terrasse sind keine Stufen und Schwellen zu überwinden,
  • die Türen im Sanitärbereich haben eine ausreichende Breite,
  • im Sanitärbereich herrschen ausreichende Bewegungsflächen vor,
  • eine bodengleiche Dusche steht zur Verfügung.

Die 16 Landesbauordnungen regeln die Umsetzung mit der entsprehenden Norm DIN 18040-2 Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 2: Wohnungen. Die Anforderungen werden unterschieden nach

  • barrierefrei nutzbaren und
  • barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbaren Wohnungen ("R").

Darüber hinaus ist die Anzahl der barrierefreien Wohnungen festgelegt.

DIN-Normen besitzen als technische Regeln noch keine automatische Gültigkeit. Mit der Übernahme in die Landesbauordnungen bzw. in die Verwaltungsvorschriften Technische Baubestimmungen werden ihre Inhalte verbindlich. Es wir zwischen Neubau und Bestandsbauten mit sinngemäßer Anwendung differenziert. Bei Umbauförderungen durch die KfW-Bank (Kredit und Zuschuss) gelten lediglich Mindestanforderungen.

Für die Umsetzung des Bauordnungsrechts sind die Bauordnungsbehörden / Bauordnungsämter zuständig. Die bauordnungsrechtlichen Vorgaben betreffen vorrangig Planung und Neubau.

Neben dem § "Barrierefreies Bauen" sind weitere §§ zu berücksichtigen, z.B. Abstandsflächen, Kinderspielplätze, Treppen, Fenster, Türen, Aufzüge, Wohnungen.

Forderungen zu barrierefreien Wohnungen aus den Bauordnungen - Beispiele

Musterbauordnung § 50 Barrierefreies Bauen Abs. 1

In Gebäuden mit mehr als zwei Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein; diese Verpflichtung kann auch durch barrierefrei erreichbare Wohnungen in mehreren Geschossen erfüllt werden. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad sowie die Küche oder die Kochnische barrierefrei sein. § 39 Abs. 4 bleibt unberührt.

Zur Zeit (2022/08) findet man diese Anforderungen mit variierenden Ergänzungen zur Anzahl bei vorhandensein von erforderlichen Aufzügen und unverhältnismäßiger Mehraufwand sowie bautechnischen Gründen in den meisten Bundesländern: Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen.

Musterbauordnung § 39 Aufzüge

Gebäude mit einer Höhe (...) von mehr als 13 m müssen Aufzüge in ausreichender Zahl haben. Von diesen Aufzügen muss mindestens ein Aufzug Kinderwagen, Rollstühle, Krankentragen und Lasten aufnehmen können und Haltestellen in allen Geschossen haben. Dieser Aufzug muss von der öffentlichen Verkehrsfläche und von allen Wohnungen in dem Gebäude aus stufenlos erreichbar sein.

Aufzüge stellen den größten Kostenfaktor dar, aber vorhanden sein müssen sie ohnehin. Die Forderung nach mehr Wohnungen wird sicherlich nur mit Neubauwohnungen in mehrgeschossiger Bauweise, die höher als 13 m sind bzw. mehr als vier Stockwerke haben, zu erreichen sein. Ein kleiner Schritt zu einer hohen Anzahl von barrierefreien Wohnungen.

Berlin geht seit 2022/01 mit der "Barrierefreies Wohnen Verordnung Berlin (BWV Bln.)" einen eigenen Weg zur Anwendung "barrierefrei". Nach LBO Berlin muss die Hälfte der Wohnungen barrierefrei nutzbar sein, wenn Aufzüge erforderlich sind.

In allen nach dem jeweiligen Aufzugsparagrafen der Landesbauordnungen barrierefrei erreichbaren Wohnungen müssen die Flure, Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad, die Küche oder die Kochnische sowie wenn vorhanden Balkone, Freisitze und Wintergärten und sonstigen Nutzräume barrierefrei sein.

Anforderungen an barrierefrei und mit dem Rollstuhl, jedoch nicht immer in allen Punkten, nutzbare Wohnungen findet man in Baden-Württemberg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Eine weitere Forderung könnte sein:

Wohnungen, die mit öffentlichen Fördermitteln errichtet werden, müssen barrierefrei sein.

Link zu den Landesbauordnungen (Auszug zu barrierefreien Bauen)

Vergleich Anzahl barrierefreier Wohnraum und mit dem Rollstuhl genutzter Wohnraum - die Regelungen in den Landesbauordnungen [Stand 2024/10]

Beispiel mehrgeschossiges Wohngebäude mit Aufzug, 5 Etagen und jeweils 4 Wohnungen (gesamt 20 Wohnungen)
Landesbauordnung barrierefrei % "R*" %
Musterbauordnug (MBO) 4 20 0 0
Landesbauordnung Baden-Württemberg (LBO) 0 0 4 20
Bayerische Bauordnung (BayBO) 4 20 0 0
Bauordnung Berlin (BauO Bln) 10 50 0 0
Brandenburgische Bauordnung (BbgBO) 4 20 0 0
Bremische Landesbauordnung (BremLBO) 20 100 1 5
Hamburgische Bauordnung (HBauO) 4 20 0 0
Hessische Bauordnung (HBO) 4 20 0 0
Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) 4 20 0 0
Niedersächsische Bauordnung (NBauO) 20 100 2 10
Landesbauordnung Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) 20 100 0 0
Landesbauordnung Rheinland-Pfalz (LBauO) 1 5 2 10
Bauordnung Saarland (LBO) 20 100 2 10
Sächsische Bauordnung (SächsBO) 4 20 0 0
Bauordnung Sachsen-Anhalt (BauO LSA) 4 20 0 0
Landesbauordnung für das Land Schleswig-Holstein (LBO) 0 0 4 20
Thüringer Bauordnung (ThürBO) 8 40 0 0

"R*" mit dem Rollstuhl nutzbar, a little bit more or less

Barrierefrei gebaut wird bei Gebäuden mit Aufzugspflicht zu 100% in Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland. In Berlin müssen Wohnungen vorerst bis Ende 2024 zu 50% gemäß Barrierefreies Wohnen Verordnung Berlin (nicht DIN 18040-2) sein.
In den Ländern mit den meisten schwerbehinderten Menschen über 100 je 1000 Einwohnern wie z.B. Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfahlen, Sachsen und Brandenburg sind keine barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbaren Wohnungen ("R") Pflicht. Eine Ausnahme ist das Saarland.

Anpassbarer Wohnungsbau reduziert Kosten

DIN EN 17210 Barrierefreiheit und Nutzbarkeit der gebauten Umgebung - Funktionale Anforderungen Anpassbarer Wohnungsbau

Der anpassbare Wohnungsbau berücksichtigt und erleichtert die Barrierefreiheit von Wohneinheiten für alle Personen während des gesamten Lebenswegs oder als Reaktion auf sich ändernde Bedarfe der Bewohner/-innen, wie z. B. zeitweise vorhandene Verletzungen, erworbene Beeinträchtigungen, Familiennachwuchs oder Alter, indem die Anpassbarkeit in das Grunddesign integriert wird, wodurch einfache und kostengünstige Anpassungen möglich sind. Dies ist besonders in einer immer älter werdenden Gesellschaft wichtig, um es Personen zu ermöglichen, "an einem Ort alt zu werden" oder im Alter zu Hause wohnen zu bleiben.

Anpassbare Wohneinheiten werden so gestaltet, dass sie von Anfang an für eine Vielzahl von Nutzenden barrierefrei sind. Sie umfassen barrierefreie Gebäudemerkmale, wie z. B. breitere Türen, eine ausreichende große Bewegungsfläche auf dem Boden und eine barrierefreie Wegeführung. Während dieses Design eventuell keine vollständige Barrierefreiheit von Anfang an bereithält, ermöglicht es jedoch, einige Barrierefreiheitsmerkmale oder Ausstattungselemente bei Bedarf anzupassen oder zu ergänzen, um die aufkommenden Barrierefreiheitsanforderungen der Bewohner/-innen besser zu erfüllen.

Der "anpassbare Wohnungsbau" entspricht mitunter nicht zu einhundert Prozent den Anforderungen für barrierefreie Wohnungen oder Häuser, die in nationalen Bauvorschriften enthalten sein können.

Beispiel Lifetime Homes in Großbritannien

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