Gefahr für Blinde durch breite Bordabsenkung? #print

Der Fachbeitrag von Dietmar Böhringer stellt die Frage, ob breite Nullabsenkungen blinde Menschen gefährden.

Breite Nullabsenkungen – eine Gefahr für blinde Menschen?

Zeichnung einer getrennten Querungsstelle mit differnzierter Bordhöhe und BodenindikatorenRollifahrerin auf einer Fläche von 90 cmViele Fußgänger überqueren eine gesicherte Fußgängerüberquerung in der Dresdener Innenstadt

Problematische Ausgangslage

Es ist ein Dilemma: Menschen im Rollstuhl wünschen sich einen möglichst niveaugleichen Übergang vom Gehweg auf die Fahrbahn, blinde Menschen brauchen aber eine Bordsteinkante, die sie mit ihrem Langstock eindeutig ertasten können. Sie brauchen einen deutlichen Höhenunterschied, der ihnen sagt:
"Oben = Sicherheit, unten = Gefahr".

Hier schwelt also zwischen zwei Gruppen behinderter Menschen ein Interessenkonflikt, der nicht unproblematisch ist. Bedauerlicherweise hat sich dieser in jüngster Zeit zugespitzt: Versucht wird eine erhebliche Verbreiterung der so genannten "Nullabsenkung", eines niveaugleichen Übergangs vom Gehweg zur Straße. Dies würde zwar die Fortbewegung von Menschen im Rollstuhl bzw. mit Rollator etwas erleichtern, würde aber gleichzeitig mobile blinde Menschen gefährden und viele blinde Menschen ihrer Selbständigkeit berauben.

Wer barrierefrei bauen und gestalten will, muss sich aber am Behindertengleichstellungsgesetz und an der UN-Behindertenrechtskonvention orientieren und kann nicht eine Gruppe behinderter Menschen in Gefahr bringen, um einer anderen Gruppe die Situation etwas zu verbessern.

Vorgeschichte

Die Streitfrage zur Breite von Nullabsenkungen an Fußgängerquerungsstellen hat eine nicht uninteressante Vorgeschichte: Lange Jahre galt (und in vielen Städten gilt weiterhin) die in den Normen von 1974 und 1998 festgelegte Gemeinsame Überquerungsstelle mit der einheitlichen "Kompromissbordhöhe" von 3 cm (DIN 18024:1974 Bauliche Maßnahmen für Behinderte und alte Menschen im öffentlichen Bereich, 2.2: "An Fußgängerüberwegen sind die Borde nach Möglichkeit auf 3 cm abzusenken."; DIN 18024-1:1998, Barrierefreies Bauen Straßen, Plätze, Wege, öffentliche Verkehrs- und Grünanlagen sowie Spielplätze, 10.1:"Borde müssen an Zugängen, Fußgängerüberwegen und Furten […] in ganzer Breite auf eine Höhe von 3 cm abgesenkt sein.")

Für Rollstuhl- und Rollatornutzer ist diese für sie zu hohe Kante unangenehm und u. U. schwierig zu bewältigen. Für blinde Menschen ist sie dagegen zu niedrig. Und selten ist die Kantenhöhe so exakt eingehalten wie auf Abb. 1 (Abbildungen im PDF-Dokument, Anm. d. Red.). Oft wird sie bereits niedriger eingebaut oder verliert im Zuge von Belagserneuerungen einige Millimeter oder gar Zentimeter an Höhe. Es erfordert extreme Konzentration des blinden Menschen, der die Kante sicher erfassen will. Wenn sie mit dem Blindenstock nicht wahrgenommen wird, ist die Gefahr groß, dass sie "überlaufen" wird. Der blinde Mensch hat dann den Eindruck, noch im sicheren Gehbereich zu sein, bewegt sich aber u. U. bereits zwischen hupenden Fahrzeugen. Ein guter Kompromiss ist also die 3-cm-Kante nicht, da sie beiden Parteien sehr viel abverlangt!

Neue Entwicklung

Etwa ab dem Jahr 2000 wurde in einem mehrjährigen Prozess die "Getrennte Überquerungsstelle mit differenzierter Bordhöhe" entwickelt, die dann 2011 und 2014 erstmals in den Normen festgeschrieben wurde (DIN 32984:2011 Bodenindikatoren im öffentlichen Raum, 5.3.3: "Querungsstelle mit differenzierter Bordhöhe"; DIN 18040-3:2014: Barrierefreies Bauen Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum, 5.3.2.1 "Getrennte Überquerungsstellen mit differenzierter Bordhöhe"). Sie wird inzwischen in vielen Städten Deutschlands realisiert.

Bei der "Getrennten Querung" bekommen blinde Menschen sowie Menschen im Rollstuhl oder mit Rollator innerhalb einer Fußgängerquerungsstelle spezielle Bereiche, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind:

  • Menschen im Rollstuhl bzw. Menschen mit Rollator finden einen niveaugleichen Übergang vom Gehweg auf die Straße, der ohne ein "Hoppeln" überfahren werden kann.
  • Für blinde Menschen ist es die schwierigste Aufgabe, eine für sie wichtige Fußgängerquerungsstelle zu finden. Sie bekommen daher einen "Auffindestreifen", der sie von der "inneren Leitlinie" (an der sie sich üblicherweise entlang bewegen) bis zum "Richtungsfeld" führt. Dieses gibt exakt jene Richtung an, in der sie die Straße queren müssen. Besonders bei schrägen Querungen ist dies von großer Bedeutung. Dieses neu eingeführte Feld erfordert allerdings eine spezielle Stocktechnik, die blinde Menschen lernen müssen, um es nutzen zu können. Ganz wichtig: Die Bordhöhe beträgt 6 cm. So kann der blinde Mensch eindeutig wahrnehmen, wo der Gehweg endet und die Straße beginnt. Bei einer "ungesicherten Querungsstelle" (Abb. 3 a) wird der Auffindestreifen unterbrochen, damit sie von einer "gesicherten Querungsstelle" (Abb. 3 b und 3 c) unterschieden werden kann.

Die Nullabsenkung beinhaltet allerdings die gleiche Problematik wie bei der oben geschilderten "Gemeinsamen Überquerungsstelle": Kann ein blinder Mensch wegen der fehlenden Bordsteinkante nicht erkennen, wo der Gehweg endet und er tritt auf die Straße – im Bewusstsein, noch im sicheren Bereich zu sein – besteht Lebensgefahr.

Diese Gefahrenstelle muss daher durch Sicherungsmaßnahmen entschärft werden. Das "Sperrfeld" aus Bodenindikatoren in Rippenstruktur, das diese Aufgabe übernimmt, ist zwar in den meisten Fällen mit dem Blindenstock gut wahrzunehmen, bei Verschmutzungen wie z. B. Herbstlaub oder Streusplitt jedoch nicht mehr. Die Steinchen füllen einerseits die Rillen und machen andererseits die umgebende glatte Fläche so rau, dass diese sich mit dem Blindenstock ähnlich anfühlt wie eine Fläche mit Bodenindikatoren. Das Sperrfeld kann dann nicht mehr sicher erkannt werden und verliert seine Warnfunktion.

Daher braucht es eine zweite Sicherung. Und hier gilt das Prinzip, ...

Die vollständige Information zum Fachbeitrag steht hier zum Downloaden bereit.

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Breite Nullabsenkungen – eine Gefahr für blinde Menschen? (ca. 2 kB)

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