Barrierefreie Kontraste DIN 32975
Die DIN 32975 adressiert Probleme und Unfallgefahren im Alltag von sehbehinderten Menschen. Dennoch werden diese von Planern und Bauherren oft übersehen. Der Aufsatz erklärt und verdeutlicht die besondere Problematik der Kontraste und präsentiert eine einfache Berechnungsmethode.
Barrierefreie Kontraste
Die wichtige, in ihrer Bedeutung unterschätzte DIN 32975: Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung
Zusammenfassung
Der vorliegende Aufsatz erläutert die Bedeutung barrierefreien Designs für sehbehinderte Menschen und wendet sich dabei drei Problembereichen zu:
- Er zeigt Gefahren auf, die von sehbehinderten Menschen oft nicht erkannt werden können. Unfälle können bspw. auf Treppen entstehen oder durch Glastüren und andere Hindernisse verursacht werden. Dazu werden die Forderungen erläutert, die die deutsche Norm DIN 32975 (Ausgabe 12/2009) zur Reduzierung dieser Gefahren aufstellt.
- Der Essay erläutert im Detail die Schwierigkeiten bei der Orientierung, die durch Sehbehinderungen entstehen. Die Probleme können sehbehinderte Menschen davon abhalten, sich unabhängig im öffentlichen Raum zu bewegen. Die Norm bietet jedoch Möglichkeiten, diese Situation zu verbessern.
- Der Aufsatz präsentiert eine einfache Methode der Berechnung von Kontrasten, mit der vorhandede Kontraste berechnet werden können. Die Methode ermöglicht ebenso objektive Verbesserungen bei der Planung neuer Kontrasten.
Aus dem Inhalt:
7. Messung vorhandener und Planung neuer Kontraste
A) Forderungen der Normen
Bereits in der Vergangenheit tauchte in Empfehlungen immer wieder der Hinweis auf, bestimmte Elemente müssten mit Rücksicht auf sehbehinderte Menschen "optisch kontrastierend" sein. Was diese ursprünglich schwammige Formulierung bedeutet, ist nun eindeutig geregelt: Bei Markierungen auf dem Fußboden – z. B. bei Treppen oder bei Bodenindikatoren – ist ein Kontrast von mindestens 0,4 erforderlich, bei Glasmarkierungen oder bei Beschriftungen ein Kontrast von mindestens 0,7. Für Schwarz-Weiß-Darstellungen sind Kontraste von mindestens 0,8 anzustreben. Grundsätzlich gilt dabei, dass die hellere der kontrastgebenden Flächen einen
Reflexionsgrad von ρ ≥ mindestens 0,5 aufweisen muss , was näherungsweise einem Hellbezugswert von 50 entspricht .
Bei den Normen DIN 18040-1 und -2 aus den Jahren 2010 und 2011 findet sich nur der dürftige Hinweis, die "Erfahrungen" würden zeigen, dass K = 0,4 und K = 0,7 für bestimmte Situationen "geeignet" seien. Kein Wort davon, dass es sich um klare Mussbestimmungen einer gültigen Norm handelt! DIN 18040-3, die neueste Norm dieser Reihe aus dem Jahr 2014, verwendet und definiert dagegen die Begriffe "visuell kontrastierend" (K ≥ 0,4) sowie "visuell stark kontrastierend" (K ≥ 0,7) und ergänzt jeweils jenen "Reflexionsgrad von ≥ 0,5 der helleren Fläche" . An den betr. Textstellen werden diese Begriffe im Sinne von Mussforderungen eingefügt.
Regelmäßig taucht die Frage auf, ob es sich bei diesen Kontrasten um den Einbau- oder den Gebrauchswert handelt. Der Normtext ist relativ eindeutig: "Für die Kennzeichnung von … ist ein Kontrast von mindestens … einzuhalten." Es ist davon auszugehen, dass bei Streitfällen die Normwerte als Gebrauchswerte interpretiert und eingefordert würden. Als notwendig erscheint es daher, dass in Außenbereichen die Kontraste bei nassem und trockenem Boden, bei Sonnenlicht und nächtlicher Straßenbeleuchtung berücksichtigt werden. Empfohlen wird aus diesem Grund, beim Einbau einen höheren Kontrast als die Minimal-Normforderung vorzusehen und z. B. "vorgegebene Kontrastwerte um mindestens 0,1 als eine Beeinträchtigungstoleranz zu überschreiten."
B) Das Problem der Messgröße "Kontrast"
Mit den genannten Messgrößen von Kontrast und Reflexionsgrad beginnt aber erst die Problematik. Die Frage ist: Wie kann ich diese Werte bei vorhandenen Flächen feststellen oder – was für den Planer noch wichtiger ist: Welche Farben oder welche Natursteine kann ich nehmen, um z. B. einen Kontrast von 0,4 zu erreichen? Was die Norm hier an Mess- und Berechnungsmethoden liefert, ist eigentlich nur von Lichttechnikern zu verstehen und so formuliert, als ob es nur mit sehr kostspieligen Messvorrichtungen und instrumenten umzusetzen wäre, die üblicherweise nur lichttechnische Institute besitzen.
Nun wurde jedoch ein einfaches, in den meisten Fällen ausreichendes Näherungsverfahren entwickelt. Die kompliziert erscheinende Materie um Kontraste lässt sich nämlich auf relativ einfache Weise erklären. Unabhängig davon, ob viel, wenig oder überhaupt kein Licht auf eine Fläche fällt, hat jede Farbe unveränderlich ganz bestimmte, feststehende Materialeigenschaften, die üblicherweise mit den Kriterien Buntton, Helligkeit und Sättigung bezeichnet werden. Für unsere Fragestellung ist nur von Interesse, wie hell eine Farbe ist.
Voraussetzung ist allerdings ein Licht, das ungefähr Sonnen-, Glühbirnen- oder Neonröhren-Beleuchtung entspricht. Gut zu beobachten ist z. B., dass bestimmte zur Straßenbeleuchtung verwendete Lampen stark veränderte Farbeindrücke und damit erheblich verfälschte Kontraste bewirken können. Mit empfindlichen Messgeräten lässt sich auch feststellen, dass sich z. B. beim Wechsel von einer Glühbirnen- zu einer Neonröhren- Beleuchtung Kontraste ändern. Dies ist aber so gering, dass es für unsere Barrierefrei-Fragestellungen nicht relevant ist.
Wenn wir Farbkontraste auf diese Weise untersuchen, kann Unerwartetes auftreten. Im Entwurf der Kontraste-Norm stand noch der Satz: „Rot-Grün-Kombinationen sind unzulässig“. Der Satz wurde dann aber entfernt. Denn die Farben Pastellrot gegen Dunkelgrün oder Pastellgrün gegen Dunkelrot bilden einen hervorragenden Kontrast von ungefähr K = 0,8. Dies gilt sogar für jeden Pastellfarbton gegenüber dem extrem dunklen Ton der gleichen Farbe!
Dass ein ins Auge springender Farbkontrast - z. B. Orange gegen Hellblau - nicht als barrierefreier Kontrast gilt, ist gewollt: Bei ca. 0,5 % aller Frauen und ca. 8 % aller Männer besteht nämlich eine Farbfehlsichtigkeit, bei der Farben und daher auch Farbkontraste nicht richtig erkannt werden. In Sehbehindertenschulen z. B. finden sich nicht wenige farbenblinde Menschen, die keinerlei Farben, sondern ausschließlich Grauwerte wahrnehmen können.
C) Kontrastberechnung mit Hilfe von Farbtafeln
Nun hat jeder Architekt, jeder Designer und jeder Malermeister so genannte Farbfächer in der Schublade liegen, mit deren Hilfe einerseits vorhandene Kontraste festgestellt, vor allem aber vorgesehene Kontraste geplant werden können. Bei diesem Näherungsverfahren sollten jedoch grundsätzlich 0,1 Kontrastgrößen zugegeben werden, um eventuelle Fehler auszugleichen. Das ist insofern kein Problem, als nach dem Forschungsprojekt "Kontrastoptimierung", dessen Ergebnisse seit 1994 vorliegen, optimale Kontraste sowohl für sehbehinderte als auch für nicht behinderte Menschen in der Größenordnung von 0,9 liegen. Ist ein Kontrast also höher als die Minimal-Normforderung, wird das damit dargestellte Objekt besser erkennbar!
Farbfächer machen in aller Regel Angaben darüber, wie hell die Farbe eines jeden Farbmusters ist. Einige Fabrikate nennen bei jedem Farbmuster den Hellbezugswert (z. B. MD-Color Farbsystem "PROFITEC der Fa. Meffert AG oder die Farbfächer der Fa. Brillux). Hier kann man direkt mit Hilfe der Michelson-Formel den Kontrast berechnen. Werden allerdings die Farben mit der Größe "Helligkeit" bezeichnet (wie z. B. bei RAL DESIGN), müssen diese Werte vor dem Einsetzen in die Michelson-Kontrastformel (die laut Norm zur Kontrastberechnung verwendet werden muss) in Hellbezugswerte umgewandelt werden.
Beispiele:
a) Kontraste zwischen Farbflächen des MD-Color-Profitec-Farbfächers
Farbe 1: CM 120, Pastellgelb, HW (= Hellbezugswert) 80
Farbe 2: CM 219, helles Rotbraun, HW 18
Kontrast K = (80 - 18) : (80 + 18) = 62 : 98 = 0,63
Ergebnis: Die hellere Kontrastfläche erreicht mit HW = 80 (der mit hoher Übereinstimmung dem Reflexionsgrad ρ = 0,8 entspricht ) die geforderte Helligkeit von ρ ≥ 0,5. Der Kontrast ist mit K = 0,63 "visuell kontrastierend" (K ≥ 0,4) - wobei die Toleranz-Fehlergröße von 0,1 berücksichtigt ist - jedoch noch nicht "visuell stark kontrastierend" (K ≥ 0,7).
b) Kontraste zwischen Farbflächen des RAL-D2-DESIGN-Farbfächers
Um Kontraste zwischen zwei RAL-DESIGN-Farbtönen berechnen zu können, müssen die Helligkeiten L* (bzw. L) in Hellbezugswerte Y* umgerechnet werden. Die Werte werden aber üblicherweise aus der nebenstehenden Tabelle abgelesen, die in jedem RAL-DESIGN-Farbfächer enthalten ist.
Farbe 1: RAL 095 90 50, Pastellgelb, L* = 90, Y* = 76,30
Farbe 2: RAL 140 30 40, Dunkelgrün, L* = 30, Y* = 6,24
Kontrast K = (76,30- 6,24) : (76,30 + 6,24) = 70,06 : 82,54 = 0,85