AAL Altersgerechte Assistenzsysteme und Universal Design#print

AAL für ALLE?
Nutzerakzeptanz-Steigerung von altersgerechten Assistenzsystemen (AAL) durch den Ansatz des Universal Design und Nutzerintegration

Autor: Sören Theussig

Titelbild der Arbeit AAL für ALLE? Nutzerakzeptanz-Steigerung von altersgerechten Assistenzsystemen (AAL) durch den Ansatz des Universal Design und NutzerintegrationAltersaufbau der Bevölkerung in Deutschland (Statistisches Bundesamt 2009, S.  15)

Altersgerechte Assistenzsysteme werden als eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen des demographischen Wandels gehandelt. Sie sollen alten und chronisch kranken Menschen ein selbstbestimmtes Leben im eigenen Wohnumfeld ermöglichen. Die Wohnung - so die Vision - wird mithilfe vernetzter Technologien zum "dritten" Gesundheitsstandort aufgerüstet. Der Oberbegriff dazu lautet Ambient Assisted Living (AAL).

In der Automobilbranche gehören intelligente, autonome Assistenzsysteme bei Neuwagen mittlerweile zur Grundausstattung. AAL-Anwendungen in Smart Homes sind in der Öffentlichkeit bisher weniger bekannt und werden teilweise skeptisch betrachtet: Die Angst vor einem Eingriff in die Privatsphäre (z.B. im Zuge einer Gesundheits- und Verhaltensüberwachung durch AAL-Anwendungen) oder einem Kontrollverlust durch komplexe, nicht nachvollziehbare technische Systeme stellen hohe Akzeptanzbarrieren dar. Das stellt die Politik, die Wirtschaft und die Wissenschaft - die große Hoffnungen in AAL setzen - vor ein Dilemma: Die besten technischen Innovationen sind nicht viel wert, wenn sie von den potenziellen Nutzern nicht angenommen, nicht akzeptiert werden.

Die Motivation der Arbeit "AAL für ALLE? Akzeptanzsteigerung von altersgerechten Assistenzsystemen (AAL) durch den Ansatz des Universal Design und Nutzerintegration" speist sich aus der Frage: Was sind die Gründe für mögliche Akzeptanzbarrieren von AAL-Technologien und wie kann man ihnen entgegenwirken? Der Autor stellt die These auf, dass AAL-Technologien nur dann sinnvoll sind und eine hohe Akzeptanz erfahren, wenn sie nicht nur für ältere und kranke Menschen sondern mit ihnen entwickelt werden (Nutzerintegration) und dabei dem Prinzip des Universal Design (Design für Alle) folgen.

Diese Hypothese wird in der vorliegenden Arbeit exemplarisch am Beispiel eines Forschungsprojektes entwickelt und mit Hilfe qualitativer Experteninterviews evaluiert.

Leseprobe:

3. AAL-Technologie als Antwort auf den demographischen Wandel?

Angesichts der beschriebenen Folgen des demographischen Wandels wächst das politische und wissenschaftliche Interesse, mithilfe von Technologie die anstehenden Probleme im Gesundheits- und Pflegebereich zu lösen. Zu diesem Zweck forschen zahlreiche wissenschaftliche Institute, Hochschulen und Unternehmen an technischen Innovationen, die es alten und kranken Menschen ermöglichen sollen, länger gesund im eigenen vertrauten Wohnumfeld zu leben. Solche Technologien lassen sich unter dem Label Ambient Assisted Living (AAL) zusammenfassen. Wie weiter unten gezeigt wird, gibt es jedoch Probleme bei einer exakten Begriffsdefinition von AAL.

Die Entwicklung von AAL-Produkten und -Projekten wird erst seit einem kurzen Zeitraum stärker gefördert. Praxistaugliche Produkte und einen etablierten AAL-Markt mit passenden Geschäftsmodellen für AAL-Produkte und -Dienstleistungen gibt es daher kaum oder nur ansatzweise (Friedewald et al. 2010, S. 18). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat im Jahr 2007 in Kooperation mit der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH und weiteren europäischen Partnern ein transnationales Förderprogramm zu AAL gegründet. Das Ambient Assisted Living Joint Programme (AAL-JP) hat eine sechsjährige Laufzeit (2008-2013) und wird von 23 Ländern der Europäischen Union getragen. Für den genannten Zeitraum haben sich die teilnehmenden Länder verpflichtet, nationale Fördermittel zur Verfügung zu stellen. In Deutschland werden die Förderzusagen vom BMBF verwaltet, das seit 2008 Forschungsprojekte zu AAL im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregierung fördert (BMBF/VDE 2011, S. 39).

Das lässt erkennen, dass die Politik, die Wirtschaft und die Wissenschaft über nationale Grenzen hinaus, große Hoffnungen in AAL-Technologien setzen und in ihr eine "wichtige Antwort auf die Herausforderungen des demographischen Wandels" (ebd., S. 7) sehen. Doch was ist AAL-Technologie genau und welche Probleme bringt diese Technologie mit sich?

3.1 Was ist AAL-Technologie? – Probleme der Abgrenzung

(...)

3.1.2 AAL-Technologie – Einführung einer Definition

Was dem Begriff Ambient Assisted Living problematischer Weise zugrunde liegt, ist die Heterogenität von technischen Assistenz-Produkten mit unterschiedlichen Technologie-Niveaus. So gibt es bereits eine Vielzahl an sogenannten Low-Tech-Geräten, wie z.B. Sicherheitsgriffe, Seh- und Hörhilfen, Haushaltstechnik (Treppenlift), Badehilfsgeräten etc., die allgemein bekannt und akzeptiert sind. Demgegenüber stehen neuartige, "smarte" High-Tech-Geräte, wie z.B. autonome, mobile Roboter oder Haushaltskontrollsysteme (Voß et al. 2003, S. 58), deren Bekanntheit und Akzeptanz noch gering ist. Diese Heterogenität erschwert eine klare Abgrenzung von "klassischen" Hilfsmitteln und AAL-Technologien und -Systemen.

Die Innovationspartnerschaft AAL vom BMBF/VDE definieren in ihrer Bestandsaufnahme AAL-Systeme (im engeren und weiteren Sinn) wie folgt:

"AAL-Systeme im engeren Sinn sind informationstechnische Systeme, die einen älteren Menschen im Alltag dadurch unterstützen, dass sie ihn auf Basis von Daten über die aktuelle Situation Entscheidungen übernehmen oder Handlungsvorschläge unterbreiten und damit ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben im eigenen Heim ermöglichen.

(...)

Ein AAL-System im weiteren Sinn (auch Monitoring-System genannt) ermöglicht, durch die Bereitstellung von Informationen über die aktuelle Situation des Betroffenen, dass andere Menschen Entscheidungen für ihn übernehmen oder Handlungsvorschläge unterbreiten" (BMBF/VDE 2011, S. 12f.).

Die Basis für diese Art von Systemen sind assistive Geräte (ebd., S. 13), die:

  • miteinander vernetzt (kooperationsfähig) und
  • in der Umgebung integriert sind (unaufdringlich),
  • auf die Bedürfnisse des Nutzers und auf die Situation angemessen reagieren (situations-angemessen) sowie
  • für den Gebrauch älterer Menschen gestaltet sind (sicher und robust).

Auf Grundlage dieser Definitionen und Anlehnung an die "Normungs-Roadmap AAL" (VDE/DKE 2012, S. 14f.) wird für die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit folgende Definition von AAL-Systemen eingeführt:

Der Begriff Ambient Assisted Living (AAL) bezeichnet ein hybrides Systemmodell. Dieses basiert auf (1) einer technischen Basisinfrastruktur bestehend aus Sensoren, Aktoren und Kommunikationseinrichtungen im häuslichen Umfeld und (2) Service- und Dienstleistungen durch Dritte. Mit AAL-Systemen wird das Ziel verfolgt, alten und kranken Menschen ein selbständiges Leben im eigenen Wohnumfeld zu ermöglichen.

3.1.3 AAL für wen? Anwender und Zielgruppen

Als Hauptzielgruppe von AAL-Systemen sind bisher ältere und kranke Menschen genannt worden. Das ist jedoch etwas ungenau und auch zu kurz gegriffen, wenn man sich vor Augen hält, wer im Endeffekt von AAL-Systemen direkt betroffen sein wird. Laut der bereits erwähnten "Normungs-Roadmap" des VDE/DKE (2012) lassen sich mehrere potentielle Nutzer von AAL-Systemen benennen: Zum einen sind das Personen, die durch den Einsatz von AAL-Systemen einen unmittelbaren Zugewinn an Lebensqualität haben (Endnutzer). Zum anderen zählen darunter Personen, die durch den Einsatz von AAL-Systemen bei betreuten Personen an eigenen Ressourcen (Zeit, Aufwand, Finanzen) sparen (informelle Unterstützungsnetzwerk und Dienstleister) (VDE/DKE 2012, S. 25f.).

Dabei lassen sich die jeweiligen Parteien noch weiter differenzieren. Bei den Endnutzern wird z.B. unterschieden zwischen Personen ohne akuten "Unterstützungsbedarf", dafür aber u.a. mit einem hohen Komfort- und Sicherheitsbedürfnis, gesundheitlichen Risikofaktoren und dem Bedarf an Prävention (ebd., S. 26). Auf der anderen Seite werden Personen mit "Unterstützungsbedarf" genannt, die:

  • "aufgrund ihres Alters unter Funktionseinbußen leiden,
  • hochaltrig und demenziell erkrankt sind,
  • in ihrer Mobilität eingeschränkt sind,
  • an chronischen oder akuten Erkrankungen leiden,
  • nach einem akuten Vorfall an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnehmen,
  • einem erhöhten Risiko unterliegen, wie z. B. durch Fehlfunktionen, die eine Blutungsgerinnungsstörung verursachen,
  • eine Behinderung haben" (ebd.).

Zum informellen Unterstützungsnetzwerk gehören Personen, die für Menschen mit Hilfe- und Pflegebedarf sorgen. Darunter zählen die privaten Angehörigen (Verwandte, Freunde etc.) aber auch ambulante und stationäre Pflegedienste sowie Ärzte und Krankenhäuser, die durch den Einsatz von AAL-Systemen entlastet werden können. Somit lassen sich insgesamt drei große Interessen- bzw. Zielgruppen für AAL-Technologien zusammenfassen:

1. Endnutzer ohne/mit akuten Unterstützungsbedarf (Nutzer),

2. pflegende/betreuende Angehörige (privates Unterstützungsnetzwerk),

3. ambulante und stationäre Pflegedienste (professionelle Dienstleister).

Das ergibt in der Summe eine sehr heterogene Zielgruppe, was sich erschwerend auf die Akzeptanzanalyse von AAL auswirkt (mehr dazu im Kapitel 5). Wie AAL nun konkret aussehen und angewendet werden kann, das soll in den folgenden Abschnitten beschrieben werden.

(...)

5.2 Ursachen für Akzeptanzbarrieren von AAL-Technologien

Eine wichtige Rolle bei der Akzeptanz von neuen Technologien spielt die Technikaufgeschlossenheit der Betroffenen, die von mehreren Faktoren abhängig ist: dem Alter, der Geschlechtszugehörigkeit, dem Bildungsniveau, dem Einkommen der potenziellen Nutzer sowie der Technikerfahrung (Meyer 2011, S. 30). Generell lassen sich zwei Grundannahmen machen, die in Forschungen über die Einstellungen zum technischen Fortschritt bestätigt werden (ebd.):

1. Jüngere Menschen mit einem hohen Bildungsniveau sind in der Regel aufgeschlossener gegenüber technischen Innovationen als ältere Personen mit einem niedrigen Bildungsniveau.

2. Männer haben eine höhere Technikaufgeschlossenheit als Frauen.

Daraus abzuleiten, dass ältere Menschen generell unaufgeschlossen gegenüber neuen Technologien sind, wäre jedoch falsch. Das zeigt u.a. das interdisziplinäre Forschungsprojekt "sentha" – Seniorengerechte Technik im häuslichen Alltag (Friesdorf/Heine 2007). In den Umfrageergebnissen ist man zu der Erkenntnis gelangt, dass ältere Menschen eine durchaus hohe Technikaufgeschlossenheit besitzen: Demnach stehen rund zwei Drittel der 1417 Befragten im Alter von 55 bis 90 Jahren dem technischen Fortschritt positiv gegenüber und sind der Meinung, "dass dieser für die Aufrechterhaltung unseres gegenwärtigen Lebensstandards notwendig ist, gebraucht wird und überwiegend Gutes gebracht hat. Dass die Technik den Menschen mehr bedroht als ihm nutzt, äußert nur knapp ein Fünftel der Senioren" (ebd.).

Bezogen auf AAL-Technologien lassen sich jedoch konkrete Ängste und Sorgen von Seiten der Senioren erkennen, die als Ursache für Akzeptanzbarrieren genannt werden können. Meyer und Mollenkopf nennen in diesem Zusammenhang:

"Ängste vor dem Eingriff in die Autonomie und Intimsphäre, die Vorbehalte gegenüber Kontrolle und (Daten)-Überwachung sowie erwartete hohe Nachfolgekosten und -lasten der AAL-Technologien. Hinzu kommt die Sorge vor unangenehmen technischen Baumaßnahmen in der eigenen Wohnung, vor der Abhängigkeit von technischen Systemen, die nicht mehr zu überblicken sind, vor zu komplizierten Bedienungen und letztlich dem Ausgeliefertsein an eine Technik, die von dem Einzelnen nicht mehr zu beherrschen ist" (Meyer/Mollenkopf 2010, S. 4).

Diesen Akzeptanzbarrieren stehen Kriterien gegenüber, die die Akzeptanz fördern können, wenn sie bei der Entwicklung von AAL-Technologien berücksichtigt werden. Was das für Kriterien sind, wird im folgenden Unterabschnitt thematisiert.

(...)

Der vollständige Artikel "AAL für ALLE? - Nutzerakzeptanz-Steigerung von altersgerechten Assistenzsystemen (AAL) durch den Ansatz des Universal Design und Nutzerintegration" steht als PDF-Datei zum Download (97 Seiten, ca. 1,7 MB) bereit.

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