Fortschritte in der Neurotechnologieneurotechnologie.htm?output=print

Technische Hilfsmittel zur Kompensation von nicht vorhandenen oder verloren gegangenen Fähigkeiten.

Chips im Gehirn - Ein Einblick in die Welt der Neurotechnologie

Nicht vorhandene Fähigkeiten kompensieren

Menschen mit sensorischen Einschränkungen haben es schwer, sich in einer Umwelt zu orientieren, die nicht barrierefrei gestaltet ist. Normen, Richtlinien und Empfehlungen beinhalten den aktuellen Stand der Technik. Die DIN 18040-1 beinhaltet konkrete bauliche Vorgaben, wie wichtige Informationen in öffentlichen Gebäuden visuell, auditiv oder taktil wahrnehmbar gestaltet werden müssen. In solchen barrierefreien Umgebungen ist es möglich, die betroffenen Menschen mithilfe einer DIN-gerechten Bauweise vor Gefahren zu warnen, zu leiten und ihnen somit die Orientierung zu ermöglichen.

Es gibt aber auch andere Mittel, Menschen mit einer eingeschränkten Sinneswahrnehmung das Leben zu erleichtern. Die Rede ist von technischen Hilfsmitteln, die nicht vorhandene oder verloren gegangene Fähigkeiten eines Menschen kompensieren. Für die Umgebung sind hier z.B. Umfeldsteuerungssysteme zu nennen (siehe Bild). Beim Menschen direkt ist wohl das Hörgerät für hörgeschädigte Menschen das Erste, was einem dabei in den Sinn kommt.

Doch was ist mit blinden Menschen, oder Menschen, deren Hörbehinderung nicht durch ein klassisches Hörgerät kompensiert werden kann? Auch hier gibt es bereits neurotechnologische Prothesen, deren Entwicklungsfortschritt optimistisch in die Zukunft blicken lässt.

Die Welt der Neurotechnologie

Die Neurotechnologie umfasst eine Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen, die sich interdisziplinär mit der Kompensation und Verbesserung menschlicher Leistungen beschäftigen, wie z.B. die Hirnforschung, kognitive Psychologie und Physiologie, künstliche Intelligenz, Biologie, Medizin und Robotik.

Der stetig zunehmende Kenntnisstand auf diesen einzelnen Gebieten in den letzten Jahrzehnten erklärt den enormen Fortschritt der Neurotechnologie: Implantationen von biologischen und technischen Materialien in das menschliche Gehirn sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Einsatz gekommen. Zu nennen sind dabei u.a. die Verfahren der tiefen Hirnstimulation oder auch die Verwendung sensorischer Prothesen, wie z.B. auditorische Hirnstammimplantate (1*).

Neuroelektrische Schnittstellen

Grundlage der Neurotechnologie, insbesondere von Neuroprothesen, ist, dass alle kognitiven und emotionalen Prozesse im menschlichen Gehirn von elektrischer Aktivität begleitet werden. So besteht die Möglichkeit, technische Systeme über neuroelektrische Schnittstellen an Nerven anzukoppeln (2).

Durch neuroelektrische Schnittstellen können zurzeit drei unterschiedliche Gruppen von Erkrankungen behandelt werden (3):

  1. Erkrankungen und Verletzungen im Bereich der Sinnessysteme, wie z.B. Blindheit oder Gehörlosigkeit,
  2. Erkrankungen und Verletzung des motorischen Systems, wie z.B. Morbus Parkinson oder Querschnittslähmung,
  3. Störungen des "milieu intérieur", wie z.B. chronische Schmerzzustände, Zwangsneurosen, Depressionen.

Den bisher größten Fortschritt in der Entwicklung der Neurotechnologie gibt es bei dem Versuch, Sinne wiederherzustellen, die krankheitsbedingt geschädigt wurden. Ein möglicher Einsatzbereich für Neuroprothesen sind dabei vor allem gehörlose Patienten.

Sensorische Prothesen bei Gehörlosen

Die sehr erfolgreiche Möglichkeit, tauben Menschen wieder Gehör zu verschaffen, stellen Innenohr-Hörprothesen oder auch Cochlea-Implantate dar. Sie kommen bei Patienten zum Einsatz, deren Cochlea (Schnecke) des Innenohrs derart geschädigt sind, dass die eingehenden Signale nicht an die Hörnerven weitergeleitet werden können. Die Funktion der Cochlea wird in diesem Fall von einem Implantat übernommen (4). Das Implantat übernimmt also eine Mittlerfunktion zwischen akustischen Signalen, Gehörorgan und Gehirn.

Bei Patienten, die unter der Krankheit Morbus Recklinghausen leiden oder deren Hörnerven durch einen Tumor zerstört wurden, ist die Verbindung zwischen Innenohr und Gehirn dysfunktional, was allerdings nicht an der Cochlea liegt. Ein Cochlea-Implantat hilft hier nicht weiter. Vielmehr können in diesem Fall Hirnstammprothesen zum Einsatz kommen, die die elektrischen Signale der Hörprothese direkt ins Gehirn weiterleiten, wo sie die Nervenzellen des Hörzentrums stimulieren. Dadurch wird ein akustischer Höreindruck erzeugt, der mithilfe eines Mikroprozessors reguliert werden kann (5).

Sensorische Prothesen bei Blinden

Auch für erblindete Menschen gibt es bereits Möglichkeiten, die Sehfähigkeit des Auges durch visuelle Prothesen teilweise wiederzuerlangen. Das Retina-Implantat wird bei Patienten erforscht, die an einer Netzhautdegeneration erblindet sind. Hierbei soll ein Chip die abgestorbenen Sehzellen in der Netzhaut ersetzen.

In Studien ist es bereits geglückt, dass erblindete Patienten mithilfe eines eingepflanzten Seh-Chips – einem subretinalen Implantat – Muster erkennen, Lichtquellen beschreiben und Gegenstände lokalisieren konnten (6).

Ähnlich wie beim Cochlea-Implantat kann jedoch das Retina-Implantat nicht funktionieren, wenn genau die Hirnregion geschädigt ist, die für die jeweilige Sinneswahrnehmung verantwortlich ist. Auch für solche Fälle gibt es bereits Forschungsprojekte, die versuchen, die Sehrinde des Gehirns - den visuellen Cortex – elektrisch zu stimulieren, um so Sehwahrnehmungen zu erzeugen (7). Optische Informationen könnten mittels einer Kamera dann direkt an das Gehirn weitergeleitet werden.

Motorische Neuroprothesen

Abgesehen von den Neuroprothesen für geschädigte Sinne gibt es auch motorische Neuroprothesen. Bis zum Jahre 2009 wurden weltweit bei rund 50.000 Menschen Elektroden in tiefen, zerebralen Hirnstrukturen operativ eingesetzt. Motorische Störungen mit neuronalem Ursprung, wie z.B. Parkinson, Dystonie oder essenzieller Tremor, werden so behandelt, wenn Behandlungsalternativen keine Besserungen mehr bringen konnten (8).

Durch periodische elektrische Impulse, die von den implantierten Elektroden ausgehen, kann z.B. das für Parkinson-Patienten typische Zittern unterdrückt und somit das Leiden dieser Menschen verringert werden.

Ein weiterer Einsatzbereich motorischer Neuroprothesen liegt bei Querschnittsgelähmten oder sogenannten Locked-In-Patienten, die bei erhaltenem Bewusstsein komplett gelähmt sind. Es ist möglich, durch eine Stimulation der unteren Rückenmarksnerven die Blasenfunktion von Querschnittsgelähmten zu steuern, oder ihnen mithilfe von Neurostimulatoren sogar das Gehen wieder zu erlernen (9).

Gehirn-Computer-Schnittstellen

In diesem Zusammenhang sind auch die Gehirn-Computer-Schnittstellen (Brain Computer Interfaces, BCI) zu nennen. Darunter ist die Verknüpfung von neuronalen Gehirnstrukturen mit technischen Hilfsmitteln zu verstehen. Jens Clausen, Professor für Bioethik, erklärt:
"Die Idee dieses Ansatzes ist, das verletzte neuronale Gewebe, in dem die Übertragung der motorischen Signale unterbrochen ist, durch technische Hilfsmittel zu überbrücken und die verlorenen motorischen Fähigkeiten durch die Ansteuerung einer künstlichen Gliedmaße, wie etwa eines Roboterarms, und als Fernziel möglicherweise sogar der eigenen, natürlichen Extremität wieder herzustellen."(10)

Mithilfe von Gehirn-Computer Schnittstellen ist es Patienten mit Querschnittslähmung zukünftig möglich, alltägliche Dinge wie E-Mails zu schreiben, oder Geräte im Haushalt zu bedienen – und das alles per Gedanken. Die Schnittstelle ist eine Buchse an seinem Kopf, an der die Elektroden in seinem Gehirn über Kabel und Stecker mit einem Computer verbunden werden (11).

Medizinische Risiken

Eingriffe in das menschliche Gehirn sind immer mit erheblichen Risiken verbunden. So ist die Implantation von Elektroden direkt an das Gewebe des motorischen oder visuellen Kortex mit einer Öffnung des Schädels verbunden. Hierbei sind die medizinischen Risiken des Eingriffs wie z. B. das Operations- und Infektionsrisiko, die mögliche hirnorganische Schädigung oder die Frage der Verträglichkeit des Implantates zu beachten (12).

Dementsprechend streng sind die Richtlinien, unter denen ein Patient für Neuroimplantate in Frage kommt (13):

  • alternative Behandlungsmethoden sind fehlgeschlagen,
  • ein unabhängiger Psychiater hat ein positives Votum abgegeben,
  • der Patient hat nach eingehender Aufklärung der Implantation zugestimmt,
  • eine Ethikkommission hat ihr Einverständnis gegeben.

Ethische Probleme

Gerade aus ethischer Sicht sind Neuroprothesen nicht unumstritten: Einerseits kann die Implantation von Elektroden ins menschliche Gehirn mögliche Auswirkungen auf Identität und Individualität des Patienten haben, da das Gehirn sehr eng mit Bewusstseinsfähigkeit, Persönlichkeit und Identität zusammenhängt (14). Eine Wesensveränderung des betroffenen Menschen ist daher nicht auszuschließen. Andererseits werden die Möglichkeiten der Fremdbestimmung und -steuerung durch Dritte, und die Verbesserung des Menschen durch die "Technisierung" des Menschen kontrovers diskutiert.

Solche ethischen Fragen zu klären, gestaltet sich nicht leicht und ist kein Prozess, der sich von heute auf morgen vollzieht. Hier ist eine kritische, öffentliche Debatte über die ethischen Aspekte sehr wichtig, ohne dabei jedoch in die Arroganz des Gesunden zu verfallen.
Das heißt, es bedarf ethischer Richtlinien, die mögliche negative Konsequenzen in einem vertretbaren Rahmen halten, ohne dabei den technischen Fortschritt in der Neurotechnologie aufzuhalten oder gar zu verhindern. Dafür ist der Nutzen für die betroffenen Menschen, und die damit verbundene Hoffnung zu groß, verloren gegangene oder nicht vorhandene Fähigkeiten zu erhalten.

Technische Hilfe im Alltag

Doch nicht nur die Fortschritte in der Neurotechnologie sind für Menschen mit sensorischen und anderen Einschränkungen von Interesse. Auch nicht-invasive Technik kann den Alltag der Betroffenen vereinfachen. Ausgefeilte Informations- und Kommunikationstechnik in den eigenen vier Wänden, verbunden mit entsprechenden Dienstleistungen, hat das Potenzial, das Leben von Menschen mit bestimmten Handicaps erheblich zu erleichtern.

Unter dem Stichwort Ambient Assisted Living (AAL), übersetzt umgebungsunterstütztes Leben, gibt es eine Vielzahl von Forschungsprojekten, deren Ziel es ist, alten und kranken Menschen ein möglichst langes Leben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, und die Pflege zu unterstützen. Auch hier lassen die Fortschritte der AAL-Technologie gespannt in die Zukunft blicken.

Autorinfo

Herr Sören Theussig, M.A.

10317 Berlin

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